Mittwoch, 6. Januar 2010

Epochen: Expressionismus

Expressionismus (1910-1925)

Im Ursprung des Gedankenguts ästhetisch-philosophisch entwickelte sich der Expressionismus im Zuge des 1. WK zu einer politisch betonten Dichtung.
Das Leiden an der Verlogenheit der Gesellschaft, der Sinnlosigkeit des Lebens und der Kriege thematisierend, verwerfen die Vertreter des Expressionismus zugleich aber auch den oberflächlich gewerteten Positivismus.
Pazifismus und die Forderung nach menschlicher Wahrheit stehen zunehmend im Mittelpunkt der Dichtungen, oftmals verbunden mit einer sozialistischen Grundhaltung.

Begriff
Der Begriff Expressionismus stammt vom lat. Wort expressio (=Ausdruck) und bedeutet 'Ausdruckskunst'. Er wurde bereits 1911 von Kurt Hiller von der Bildenden Kunst, in der er schon am Ende des 19. Jahrhunderts existierte, auf die Literatur übertragen. In der Bildenden Kunst wurde der Begriff hauptsächlich verwendet, um gegenimpressionistische Strömungen abzugrenzen. Viele Autoren gebrauchten den Begriff Expressionismus als Selbstbezeichnung.
Der Expressionismus lässt sich in drei Phasen einteilen: den Frühexpressionismus 1910-14, den Kriegsexpressionismus 1914-18 und den Spätexpressionismus 1918-25. Der Frühexpressionismus, der Anfang expressionistischer Schreibpraxis, endete mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914, der mit einer Verschärfung der Zensur verbunden war und auch die Literaturrezeption im Allgemeinen erschwerte. Der Kriegsexpressionismus wurde 1918 mit der Novemberrevolution abgelöst. Der Expressionismus ging dann in seine Spätphase über und läuft um die Mitte der zwanziger Jahre allmählich aus.

Historischer Hintergrund
Das wichtigste historische Ereignis während des Expressionismus war der Erste Weltkrieg. Sein Auslösen hatte vielfältige Ursachen. Mit dem Rücktritt Bismarcks 1890 und der Machterlangung Kaiser Wilhelms II. änderte sich die europäische Politik schlagartig. Im Konkurrenzkampf um die noch freien Gebiete der Welt griff nun auch das Deutsche Reich ein, um sich Kolonien für einen "Platz an der Sonne" zu sichern. Dieser Imperialismus führte zum gegenseitigen Wettrüsten der Großmächte. Mit der Abkehr von Bismarcks Bündnispolitik kam es zu einer Destabilisierung des europäischen Kräftegleichgewichts. England, Frankreich und Russland verbündeten sich, während das Deutsche Reich neben seinen Bündnispartner Österreich-Ungarn isoliert wurde. Das Deutsche Reich mischte sich außerdem in mehrere Krisen ein, z.B. die Marokkokrisen 1905/06 und 1911 oder die Balkankriege 1912 und 1913.
Der Anlass des Ersten Weltkriegs war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin am 28. Juni 1914 in Sarajewo. Die Kriegsschauplätze lagen vor allem im Osten und Westen Deutschlands, an denen die Fronten jedoch bald erstarrten und es zum Stellungskrieg kam. Aber auch in den Kolonien wurde Krieg geführt. Besonders die Kriegsschauplätze im Westen waren von Materialschlachten bestimmt. Die erfolglosen Offensiven führten 1918 zu verstärkten Friedensbemühungen. Am 11. November 1918 wurde ein Waffenstillstand vereinbart, am 22. Juni 1919 der Friedensvertrag von Versailles angenommen.
Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland beseitigte die Monarchie und führte zur Errichtung einer parlamentarischen Republik. Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann vor dem Reichstagsgebäude in Berlin die Deutsche Republik, zwei Stunden später Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Schlosses die Freie Sozialistische Republik aus. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 ging Friedrich Ebert als erster Präsident der Weimarer Republik hervor. Am 11. August 1919 wurde von der Mehrheit der Nationalversammlung die Weimarer Verfassung angenommen. Auf die expressionistischen Schriftsteller wirkten drei wichtige Einflüsse: der Darwinismus, der Kulturpessimismus Nietzsches und die Psychoanalyse Freuds.

Expressionistische Literatur
Die Expressionisten lehnten alle Arten des Denkens ab, die auf Logik und Erklärbarkeit basierten. Die Betrachtung des menschlichen Individuums rückte hinter die Erfassung des Wesens der Dinge. In der Sprache hoben sich die Expressionisten deutlich von anderen Stilrichtungen und Epochen ab. Die expressionistische Sprache war extrem subjektiv und durch Ekstase und Pathos gekennzeichnet, grammatische Normen wurden dabei oft gebrochen. Alle Gattungen des Expressionismus weisen zudem einen hohen Metapherngebrauch und eine große Farbsymbolik auf.

Programm, Vereine, Zeitschriften
Der Expressionismus verfügte kein einheitliches Programm, statt dessen entstanden viele einzelne Grundsatzerklärungen. Die erste expressionistische Literaturvereinigung, der Neue Club, wurde 1909 von Kurt Hiller und Erwin Loewenson gegründet. 1911 spaltete sich davon das Literarische Cabaret Gnu ab. Viele junge Autoren nutzten diese öffentlichen Foren für eine erste Veröffentlichung ihrer Werke.
Die expressionistische Literatur wurde meist in expressionistischen Zeitungen veröffentlicht, wie Der Sturm (1910-32), Die Aktion (1911-32), Das neue Pathos (1913-20), Die weißen Blätter (1913-21) und Der Orkan (1917-20). Einen großen Einfluß hatten vor allem die in Berlin erschienen Zeitschriften Der Sturm, gegründet von Herwart Waldens, und Die Aktion, herausgegeben von Franz Pfemfert.

Lyrik im Expressionismus
Am Anfang des Expressionismus war die Lyrik die dominierende Gattung. Die ersten expressionistischen Gedichte waren Weltende (1905) von Else Lasker-Schüler und Weltende (1910) von Jakob van Hoddis. Die Anthologie Menschheitsdämmerung, Symphonie jüngster Dichtung (1920), herausgegeben von Kurt Pinthus, stellte eine der wichtigsten Sammlungen expressionistischer Lyrik von 23 Autoren dar.
Die expressionistische Lyrik ist gemischt von Traditionsbruch und der Beibehaltung traditioneller lyrischer Formen. Außerdem betrieben viele Expressionisten Experimente in der Form. So entstanden z.B. sich über mehrere Zeilen erstreckende Verse, oder Verse, die nur aus einem oder zwei Wörtern bestanden und sich dadurch zu hohen Säulen auftürmten. Der grammatische Satzbau der Verse wurde oft gebrochen. Viele expressionistische Gedichte waren von einer großen Metaphorik, Bildlichkeit und Farbsymbolik gekennzeichnet. Häufig fanden auch hässliche oder schockierende Elemente in ihnen ihren Platz, wie z.B. in den Gedichten Gottfried Benns. Die ästhetische Ausgrenzung des Hässlichen, wie in anderen Strömungen, wurde aufgegeben. Manche Autoren verwendeten oft Neologismen. (Wortneuschöpfungen).
Die expressionistische Lyrik war durch zwei Strömungen geprägt: den Messianismus und die Simultaneität. Messianische Lyrik löste die äußere Form von Gedichten auf, um das Wesen der Dinge erfassen zu können. Thematisch war diese Lyrik v. a. von einer Aufbruchstimmung, von einem Wandlungsprozess oder dem Bild eines "neuen Menschen" bestimmt. Vertreter dieser Lyrik waren z.B. Johannes Becher und Franz Werfel. Die Lyrik der Simultaneität wahrte hingegen die äußere Form und löste die innere Form auf. Sie versuchte verschiedene Sinneseindrücke gleichzeitig nebeneinander darzustellen, wie es bei der Wahrnehmung in einer Großstadt der Fall ist. Dies gelang ihr v. a. durch den Gebrauch von Zeilenstil und Parataxe. Die Thematisierung der Großstadt stand bei dieser Lyrik daher häufig im Mittelpunkt. Die ambivalente Wahrnehmung der Großstadt, sowohl positiv als auch negativ, unterschied die expressionistischen Lyriker von den italienischen Futuristen, welche die positiven Seiten der Großstadt verherrlichten. Die simultane Darstellungsweise in der Lyrik wurde z.B. von Alfred Lichtenstein und Jakob van Hoddis gebraucht.
Die wichtigsten expressionistischen Lyriker waren Else Lasker-Schüler, Jakob van Hoddis, Franz Werfel, Alfred Lichtenstein, Gottfried Benn, Johannes Becher, Ernst Stadtler, August Stramm sowie Georg Trakl.

Expressionistisches Drama
Im Spätexpressionismus wurde das Drama zur dominierenden Gattung. Den Beginn des expressionistischen Dramas datiert man auf 1912, mit dem Erscheinen Reinhard Sorges' Der Bettler. Der Typus des Stationendramas eignete sich hervorragend, um die traditionelle Dramenform aufzubrechen. Der Gang der Handlung verläuft nicht in einer geordneten Reihenfolge, sondern setzt sich aus einzelnen, meist unverbundenen Elmenten, Stationen oder Bildern zusammen. Damit wurde das Simultanitätsprinzip der Lyrik auf das Drama übertragen. Es gab nur wenige Ausnahmen, welche an der Einheit von Handlung, Ort und Zeit festhielten. Charakteristisch für die Thematik vieler Dramen war ein Wandlungsprozeß des Protagonisten, wie er programmatisch in Tollers Die Wandlung (1919) gezeigt wird. Nach der freiwilligen Kriegsbeteiligung des Protagonisten findet dieser bald die wahren Hintergründe des Krieges heraus. Er wandte sich von ihm ab und der Revolution zu, die er zu verbreiten versucht. Dramen mit messianischem Charakter wurden auch als Verkündigungsdramen bezeichnet. Das expressionistische Drama richtete sich jedoch am Illusionstheater aus, das den Spieler vom Publikum strikt trennte.
Weitere wichtige Dramatiker des Expressionismus neben Ernst Toller (Masse Mensch, 1920) waren Georg Kaiser (Von morgens bis mitternachts, 1916), Carl Sternheim (Die Hose, 1911), Reinhard Sorge (Der Bettler , 1912) sowie Walter Hasenclever (Der Sohn, 1914). Brechts dramatisches Frühwerk, Baal (1919) und Trommeln in der Nacht (1922), sind ebenso in die zeit des Expressionismus einzuordnen.

Epik im Expressionismus
Das epische Werk des Expressionismus fand bei der Nachwelt nur wenig Beachtung, trotz des Vorhandenseins zahlreicher und umfangreicher epischer Texte. Zu den wichtigsten Prosaautoren gehörten Alfred Döblin (Die Ermordung einer Butterblume, 1910) und Carl Einstein (Bebuquin, 1912), sowie Autoren, deren Zuordnung umstritten ist, wie Heinrich Mann, Robert Walser und Franz Kafka. Ein Teil der expressionistischen Prosa, deren Erzählen auf Reflexion und Selbstreflexion gerichtet ist, wird als Reflexionsprosa zusammengefasst. Dazu gehört z.B. Carl Einsteins Bebuquin oder Gottfried Benns Gehirne (1915). Ein anderer Teil der Prosa stand im Zeichen des Messianismus und versuchte eine aktive Weltverbesserung zu erreichen. Die Romane Heinrich Manns, wie z.B. Der untertan (1918), waren geprägt von Kritik am wilhelminischen Bürgertum.


Vertreter
Ernst Barlach (1870-1938)
Johannes R. Becher (1891-1958)
Gottfried Benn (1886-1956)
Theodor Däubler (1876-1934)
Alfred Döblin (1878-1957)
Carl Einstein (1885-1940)
Walter Hasenclever (1890-1940)
Georg Heym (1887-1912)
Jakob van Hoddis (1887-1942)
Franz Kafka (1883-1924)
Georg Kaiser (1878-1945)
Karl Kraus (1874-1936)
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Alfred Lichtenstein (1889-1914)
Heinrich Mann (1871-1950)
Alfred Mombert (1872-1942)
Robert Musil (1880-1942)
Reinhard Johannes Sorge (1892-1916)
Ernst Stadler (1883-1914)
Carl Sternheim (1878-1942)
August Stramm (1874-1915)
Ernst Toller (1893-1939)
Georg Trakl (1887-1914)
Fritz von Unruh (1885-1970)
Robert Walser (1878-1956)
Franz Werfel (1890-1945)

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