Freitag, 8. Januar 2010

Epochen: Exilliteratur

Exilliteratur (1933 – 1945)

Begriff
Das Wort Exil leitet sich vom lateinischen exilium = Verbannung ab. Die Exilliteratur wird auch als Emigrantenliteratur bezeichnet. Darunter fasst man sämtliche Werke, die meist durch politische Verfolgung im Exil entstanden sind.
Emigrant (Auswanderer) zu sein bedeutet allgemein, sein Land wegen politischer oder religiöser Verfolgung verlassen zu müssen. Als Exil bezeichnet man demzufolge ein Land, in das jemand flieht, der aus politischen Gründen aus seiner Heimat vertrieben wurde. Wichtig ist noch, eine Trennung der Begriffe Emigranten und Exilierte vorzunehmen. Zu den Emigranten (Ausgewanderte) gehörten v. a. eine große Menge von Juden, zu den Exilierten (Vertriebene) zählt man Schriftsteller, Künstler und Politiker.

Historischer Hintergrund
Aufgrund der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, von der auch Deutschland stark betroffen war, wurden ab 1930 Notverordnungen erlassen. Die NSDAP gewann immer größeren Zuwachs, bis sie schließlich mit ihrem Vorsitzenden Adolf Hitler am 30.1.1933 die politische Macht in den Händen hielt. Am 27.2.1933 ereignete sich der Reichstagsbrand, auf den eine riesige Verhaftungs- und Verfolgungswelle folgte. Mit dem Erlaß des Ermächtigungsgesetzes setzte in allen Stufen der Gesellschaft die Gleichschaltung ein. Am 10.5.1933 fand eine große Bücherverbrennung unter dem Motto "Wider dem deutschen Geist" statt, bei der Werke von über 250 Autoren vernichtet worden. Danach begann eine erste große Auswanderungswelle. 1935 wurden die Nürnberger Gesetze gegen die Juden erlassen.
In der Reichskristallnacht vom 9.11.1938 wurden jüdische Friedhöfe geschändet und Synagogen in ganz Deutschland zerstört. Am 1.9.1939 setzt der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen ein. 1942 werden auf der Wannsee-Konferenz die Richtlinien zur Endlösung der Judenfrage festgelegt. Politische Gegner und Millionen von Juden wurden in den Kriegsjahren in Konzentrationslagern hingerichtet. Erst am 8.5.1945 werden die Kriegshandlungen mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands eingestellt. Aus Deutschland sind seit 1933 bis zum Zweiten Weltkrieg etwa 2000 Künstler ausgewandert.

Literatur des Exils
Emigrationen im 19. Jahrhundert:
Die Exilliteratur ging nicht erst als Erscheinung hervor, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht übernahmen. Bereits 1872 gebrauchte ihn Georg Brandes, für die Werke französischer Schriftsteller, die nach der Revolution 1789 aus Frankreich geflohen waren.
Im 19. Jahrhundert gibt es drei wichtige Emigrationswellen. Die erste begann um 1819 nach den Karlsbader Beschlüssen zur Überwachung der Presse und Kontrolle kritischer Autoren. Die zweite große Welle ist nach dem Scheitern der Revolution in Deutschland in den 40er Jahren zu verzeichnen. Eine letzte Emigrationswelle im 19. Jahrhundert ist um 1878, nach dem Erlass des Sozialistengesetzes. Auch am Anfang des 20. Jahrhunderts, mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges, wanderten noch viele Schriftsteller aus (z.B. in die Schweiz).

Isolation im Exil
Das Leben im Exil stellte sich schon bald als alles andere, als leicht heraus. Die Exilierten wurden dabei mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert: die Hoffnung von einer raschen Auflösung der Nationalsozialisten mußte vergraben werden, jegliche Kontakte zum Heimatland waren abgetrennt, das Leben in der fremden Umgebung (meist fremde Sprache, Mißtrauen der Einwohner, Schikanen der Behörden und schlechte finanzielle Lage) wurde zudem erschwert. Nur ein kleiner Teil der emigrierten Autoren, konnten mit ihrer schriftstellerischen Arbeit genügend Geld verdienen, um einen konstanten sozialen Status aufrechterhalten zu können. Der Großteil jedoch, war auf Spenden und Unterstützung anderer Schriftsteller angewiesen.
Nicht alle Exilautoren waren in ihrer neuen, aufgezwungenen Heimat sicher. Die, welche z.B. nach Österreich flohen, mußten nach dessen Anschluß 1938 an Deutschland erneut fliehen. Auch zu Kriegsbeginn mußten die Schriftsteller erneut fliehen, die schon nach Frankreich (Benjamin, Roth), Belgien, Niederlande oder Dänemark geflohen waren. In Russland wurden einige Opfer der stalinistischen Herrschaft. England (Alfred Kerr) galt zwar als sicher, doch wurden nur Emigranten aufgenommen, die über entsprechend hohe finanzielle Mittel verfügen. So blieb den meisten Autoren nur der Weg über den Atlantik - nach Amerika (Brecht, Feuchtwanger, Th. Mann, H. Mann, Zuckmayer, Remarque, Toller). Diese Flucht allerdings fiel vielen nicht leicht, denn die Trennung von der europäischen Kultur vergrößerte die Isolation. Einige Autoren verschlug es sogar bis nach Mexiko (Anna Seghers, Ludwig Renn) und Südamerika (Stefan Zweig).
Als die Nationalistische Herrschaft Stabilität zeigte, und keinesfalls zerfiel, mussten Überlegungen zu einem gemeinsam orientierten Widerstand gemacht werden.

Gemeinsame Bemühungen im Kampf gegen den Nationalsozialismus
Die Exilautoren waren zwar weit um Deutschland verstreut, doch sahen sie bald ein, daß sie nur gemeinsam gegen den Nationalsozialismus protestieren können. 1933 wurde in Prag eine Zeitschrift mit dem Titel "Neuen Deutschen Blätter" von Seghers, Graf, Petersen und Hertzfelde herausgegeben. Sie versuchte dem Nationalsozialismus allein durch Kraft des "dichterischen und kritischen Wortes" entgegenzutreten, hatte aber nur zwei Jahre Bestand. Auch die von Klaus Mann herausgegebene Zeitschrift "Die Sammlung" hatte zum Zweck, antifaschistisch eingestellte Schriftsteller zu vereinen. Brecht und Becher setzten sich hingegen für ein internationales Antifaschismus-Bündnis ein. Heinrich Mann nahm mit seinen Appellen, Aufsätzen und Reden eine zentrale Rolle der Volksfrontbewegung ein, doch scheiterte diese in Deutschland. In Spanien unterstützen viele Exilautoren die Volksfrontregierung, die durch den Putsch von General Franco gefährdet war, z.B. Bertolt Brecht: Die Gewehre der Frau Carrar.

Antifaschistische Literatur
Heinrich Mann war der Auffassung, daß in Wirklichkeit nur antifaschistische Literatur die einzige deutsche Literatur sei. Viele seiner Kollegen waren der gleichen Auffassung. Man sah in den Exilierten "die Stimme des stumm gewordenen Volkes". Die antifaschistische Literatur hatte demnach zwei Aufgaben: sie sollte die Welt über Nationalsozialisten aufklären und den Widerstand in Nazi-Deutschland unterstützen.
Einige Autoren wendeten sich dem historischen und Gesellschaftsroman zu, der in der Weimarer Republik große Beachtung genoss. Sie waren der Meinung, durch die Nationalsozialisten sei die Entwicklung dieser Gattung unterbrochen worden und wollten so wieder an sie anknüpfen. Als bedeutungsvollster historischer Roman des Exils gilt Henri Quatre von Heinrich Mann. Andere Schriftsteller versuchten direkt gegen das Dritte Reich zu kämpfen, in dem Sie Radioreden, Manifeste, Flugblätter oder Tarnschriften veröffentlichten.
Die Exilautoren galten im weiten Sinne als politische Schriftsteller, wie es sie vorher kaum gegebenen hat (Ausnahme: Vormärz). Der Großteil der Exilliteratur besaß einen politischen Charakter. Einige Autoren hatten auch Heimweh. Aus diesem Grund entstanden Naturgedichte und Liebeslyrik.

Anna Seghers: Das siebte Kreuz
Anna Seghers Roman entstand 1941 in Mexiko, erschien 1942 in englischer Sprache und wurde erst 1947 ins Deutsche übersetzt. In ihm spiegelt sich das alltägliche Leben im Dritten Reich wieder. Da Anna Seghers bereits 1933 ins Exil ging, ist es bemerkenswert, wie genau sie die Situation schildern konnte. Ihre meisten Quellen stammen aus Gesprächen mit geflohenen Häftlingen, ebenso der Bericht von den in einem Konzentrationslager aufgestellten sieben Kreuzen für sieben Häftlinge. In ihrem Werk nehmen die sieben Kreuze eine wichtige Rolle ein: werden zur Hinrichtung für sieben entflohene Häftlinge aufgestellt. Doch das siebte Kreuz bleibt frei - und wird damit zum Symbol des Widerstandes in Deutschland. Von den sieben Entflohenen, kann nur einer (Georg Heisler) entfliehen. Wichtig für das Buch sind die politischen und persönlichen Einstellungen all derer, mit denen Heisler in Kontakt kommt.
Exilzeitschriften
In den zwölf Jahren (1933-1945) sind über 400 Exilzeitschriften erschienen. Während die antifaschistische Exilliteratur mehr und mehr einheitliche Züge annahm, in Bezug auf den Kampf gegen das Dritte Reich, herrschte bei den Zeitschriften eine große Unübersichtlichkeit. Tucholsky beklagte: "Anstatt ein gutes Journal zu gründen, gründet sich jeder seins, und natürlich werden sie alle miteinander eingehen. Es ist sehr schade." Nichts desto trotz halfen die Exilzeitschriften der Isolation im Exil entgegenzuwirken. Die Trennung zum Heimatland konnte so überwunden werden.
Bedeutende Exilzeitschriften sind Die neue Weltbühne, die von Kurt Tucholsky und Ossietzky herausgegeben wurde, Sammlung von Klaus Mann, Neuen Deutschen Blätter von Seghers, Graf, Hertzfelde und Petersen, Wort von Brecht, Feuchtwanger und Bredel. Einen politischen Erfolg konnte die Vielzahl der Zeitschriften jedoch nicht erringen. Die Aufklärung der Welt und Unterstützung des Widerstandes blieb fast erfolglos.

Bertolt Brecht
Für die Exilliteratur nahm Brecht eine wichtige Bedeutung als Lyriker, Prosaist, Dramatiker und Literaturtheoretiker ein. Doch zu seiner stetiger Produktion auch nach 1933 trugen die Frauen um ihn herum eine große Rolle: Helene Weigel, Ruth Berlau, Margarete Steffin und Elisabeth Hauptmann. Brecht zeichnete sich durch eine überlegene Einschätzung des Dritten Reiches gegenüber anderen Exilautoren und durch die Entwicklung neuer literarischer Formen aus.
Brecht verstand den Nationalsozialismus als deutsche Form des Faschismus: "Der Faschismus ist eine historische Phase, in die der Kapitalismus eingetreten ist." "Der Kapitalismus existiert in faschistischen Ländern nur noch als Faschismus und der Faschismus kann nur bekämpft werden als nacktester, frechster, erdrückendster und betrügerischster Kapitalismus." Der Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus kommt in seinem Lehrstück Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui noch einmal zum Ausdruck.
Brecht sieht jedoch bald schon die Grenzen des Lehrstückes erreicht. Ihm kommt es jetzt nicht mehr so sehr auf historische Zusammenhänge an, sondern auf die sozialpsychologischen Wirkungen des Faschismus, wie er in alle Lebensbereiche eindringt und die zwischenmenschlichen Beziehungen stört. Seine Lehrtheater Der gute Mensch von Sezuan, Mutter Courage und ihre Kinder und Leben des Galilei begründen seinen Weltruhm. Brechts Theorie des epischen Theaters formuliert er 1949 im Kleinen Organon für das Theater, in dem er den Gegensatz zwischen Lehr- und Vergnügungstheater noch einmal deutlich hervorhebt. Die Theatertheorie Brechts stellt etwas Besonderes dar, denn er entwickelte seine Stücke nicht nach der Theorie sondern umgekehrt.
Höhepunkt seines Lehrtheaters ist der Galilei. In Brechts erster Fassung von 1938 wird er als listiger Kämpfer gegen die Inquisition dargestellt. Mit dem Widerruf seiner Schriften soll nicht die Untergebenheit gegenüber den Machthabern gezeigt werden, sondern der fortwährende Widerstand gegen sie. Brechts Absicht bestand darin, zu zeigen, daß die Verbreitung der Wahrheit auch in einer Diktatur möglich ist. Nach Abwurf der ersten Atombomben über Hiroshima und Nagasaki beschließt Brecht eine Überarbeitung. Wichtig für das Stück ist jetzt die Verantwortung des Wissenschaftlers für die Folgen seiner Forschungen.

Vertreter
Walter Benjamin (1892-1940)
Bertolt Brecht (1898-1956)
Alfred Döblin (1878-1957)
Lion Feuchtwanger (1884-1958)
Walter Hasenclever (1890-1940)
Heinrich Mann (1871-1950)
Thomas Mann (1875-1955)
Robert Musil (1880-1942)
Erich Maria Remarque (1898-1970)
Joseph Roth (1894-1939)
Kurt Tucholsky (1890-1935)
Franz Werfel (1890-1945)
Carl Zuckmayer (1896-1977)
Stefan Zweig (1881-1942)

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