Donnerstag, 7. Januar 2010

DDR: Überblick bis zum Mauerfall

Entwicklung in der DDR bis Ende der 80er Jahre

Innen- und Gesellschaftspolitik
Die weiterhin bestehenden und durchaus gravierenden Probleme der DDR, vor allem in Bezug auf die Wirtschaft und die Deutschlandpolitik, wurden jedoch durch den Wechsel an der Führungsspitze nicht gelöst. Vielmehr musste der zukünftigen Ausrichtung der Politik „nach Ulbricht“ essenzielle, weil existenzielle Bedeutung für die Zukunft des SED-Staates zukommen.

Obwohl selbst kein Wirtschaftsfachmann, sondern ein Spezialist für ideologische Erziehung, Kaderausbildung und innere Sicherheit, hielt Honecker (DDR Oberstaatsrat ab 1971) die Verbesserung der Versorgungslage sowie die Hebung des Lebensstandards der Bevölkerung für unerlässlich, insbesondere nach den Mangelerscheinungen und Engpässen der letzten Ulbricht-Jahre.
Tatsächlich verknüpfte sich mit einer Steigerung sozialpolitischer Leistungen durchaus die Chance, sich weiterhin zumindest die Loyalität einer Bevölkerungsmehrheit sichern zu können. Wesentlich stärker als zuvor wurde daher das Konsumbedürfnis breiter Bevölkerungsschichten ernst genommen. Es fand ausdrückliche Berücksichtigung im Programm der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, das Erich Honecker auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 verkündete. Kernpunkt war die „weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität“

Maßnahmenbündel durch Honecker
Ein ganzes Bündel sozialpolitischer Maßnahmen wurde beschlossen und als „Kernstück“ die Verbesserung der Wohnbedingungen durch ein umfassendes Bau-, Renovierungs- und Sanierungsprogramm vorgesehen. Weiterhin gehörten dazu: die Erhöhung der Mindestlöhne und Mindestrenten; die Arbeitszeitverkürzung für Frauen, besonders für solche mit Kindern, einschließlich verlängertem Mutterschaftsurlaub und Geburtenbeihilfe, um Berufstätigkeit und Mutterschaft besser zu vereinbaren; großzügige, zum Teil zinslose Kredite sowie bevorzugte Wohnungszuteilung bei Eheschließungen; die Verbesserung der medizinischen Versorgung und Betreuung sowie schließlich Ausbau und Ausweitung des Erholungswesens.

Hinter diesen umfangreichen sozialpolitischen Maßnahmen verbargen sich indes auch bevölkerungspolitische Absichten. Seit 1965 war die Geburtenentwicklung in der DDR vor allem infolge der bis 1961 erfolgten massenhaften Abwanderung in die Bundesrepublik rückläufig und drohte das ohnehin knappe Arbeitskräftepotential weiter auszudünnen. Im Hinblick darauf sollte das weit gefächerte Sozialprogramm deshalb eine Wende herbeiführen. Doch mussten die darin enthaltenen Leistungen auch finanziert werden können. Und genau hierin lag die entscheidende Problematik. Denn das Konzept, durch Intensivierung des Arbeitseinsatzes und des Produktionsprozesses – „sozialistische Rationalisierung“ genannt – den erhöhten Finanzbedarf abzudecken, war mit einem enormen Risiko behaftet.

Bereits im Herbst 1971, nur ein halbes Jahr nach der Machtübernahme Honeckers, musste die Staatliche Plankommission feststellen, dass der geplante Warenexport in westliche, Devisen bringende Länder aller Voraussicht nach um circa 390 Millionen Mark verfehlt werden würde, Importe in die DDR hingegen um 100 Millionen Valutamark, also in westlichen Devisen, über dem Plan lägen. Dies war ein erstes Alarmsignal, das allerdings kaum Beachtung fand. Stattdessen deckte man vorderhand das entstandene und zudem anwachsende Defizit durch Kredite aus westlichen Staaten ab.

Dass Honecker mehr Ideologe als Wirtschaftsfachmann war, erwies sich auch ein Jahr nach seiner Machtübernahme im Frühjahr 1972, als die Verstaatlichung der in der DDR noch bestehenden rund 11400 mittelständischen Betriebe durchgeführt wurde. Zwar besaßen diese, unter ihnen circa 6500 halbstaatliche Betriebe, nur noch etwa 10 Prozent Anteil an der Gesamtproduktion, aber in der Textil- und Bekleidungsindustrie, mithin bei Erzeugnissen, die vor allem für die breite Bevölkerung wichtig waren, nahmen sie mit circa 30 Prozent der Produktion noch immer eine beachtliche Position ein. Das galt auch für Dienstleistungen. Das Ziel einer verbesserten Versorgung durch Unterstellung dieser Betriebe unter die staatliche Planung wurde indes nicht erreicht; denn fast durchweg kam es bei den häufig in kurzer Zeit verstaatlichten und in größere Volkseigene Betriebe (VEB) integrierten Betrieben zu Produktionsrückgängen sowie einem erheblichen Zuwachs an Bürokratie.

Ebenfalls vornehmlich ideologisch motiviert waren neue Bestimmungen im Bildungs- und Schulbereich. „Richtiger“ sozialer Herkunft und gesellschaftlichem Einsatz wurden nun wieder, vor allem beim Übergang in die Erweiterte Oberschule (EOS), als Voraussetzung für ein akademisches Studium stärkeres Gewicht beigemessen. Das bedeutete die erneute Bevorzugung von „Arbeiterkindern“ und die Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern aus anderen, insbesondere „bürgerlichen“ Schichten bzw. christlichen Familien oder solchen, die eine Mitgliedschaft in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) abgelehnt hatten. Zudem wurde der Stellenwert einer umfassenden polytechnischen, zehnklässigen (Aus-)Bildung verstärkt.

Honeckers wirtschafts- und sozialpolitischer Kurskorrektur folgten in der Tat zunächst die „goldenen Jahre“ der DDR, zumindest in der ersten Hälfte der siebziger Jahre. Der Lebensstandard der Bevölkerung erhöhte sich spürbar und mit ihr auch die Akzeptanz des sozialistischen Systems. Dennoch blieb die DDR auch in den siebziger Jahren von unübersehbaren Widersprüchen geprägt. Eine zweifellos verbesserte Versorgung – wenngleich Warteschlangen nach wie vor zum Alltag gehörten – fand ihre Kehrseite in einer steil ansteigenden Verschuldung bei den westlichen Industriestaaten, über deren tatsächliches Ausmaß die Bevölkerung nicht die geringste Kenntnis besaß.

Gleichwohl blieb der westdeutsche Konkurrenzstaat trotz permanenter politisch-ideologischer Verteufelung durch die Propaganda für die Bevölkerung sowie für die Staatsführung der DDR selbst die entscheidende Richtgröße. Denn nicht der Vergleich mit den übrigen sozialistischen „Bruderstaaten“ bildete den Maßstab, zumal die DDR hinsichtlich industrieller Entwicklung und erreichtem Wohlstand hier ohnehin an der Spitze stand, sondern der Vergleich mit der Bundesrepublik, der im nun nicht mehr verbotenen „Westfernsehen“ täglich gezogen werden konnte.

Außen- und Deutschlandpolitik
Durch die neue Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition in Bonn wurde die SED zudem erstmals zunehmend in die Defensive gedrängt. Sie konnte nicht völlig ignorieren, dass einer breiten Mehrheit von DDR-Bürgern die nationale Frage noch keineswegs durch die „Klassenfrage“ gelöst erschien. Tatsächlich war es gerade die hinhaltende Politik der SED in der Deutschlandfrage, die gegenüber den ost- und deutschlandpolitischen Initiativen der neuen Bundesregierung von der Mehrheit der DDR-Bevölkerung als hinderlich, kompromisslos und defensiv angesehen wurde. Doch gerade vor diesem innenpolitischen und psychologisch keineswegs unwirksamen Hintergrund im eigenen Staat selbst sah sich die SED gezwungen, die Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik stärker zu forcieren.

Dieser Zielsetzung standen indes nicht nur die in Bewegung geratene internationale Lage vor allem auf dem Gebiet der Ost-West-Beziehungen entgegen, sondern auch die Interessen der sozialistischen Vormacht Sowjetunion. Das hatte der Versuch Ulbrichts, eine DDR-eigene Deutschlandpolitik zu betreiben, deutlich vor Augen geführt. Nachdem es Bonn drei Monate nach Kassel gelungen war, mit der UdSSR am 12. August 1970 einen Vertrag über gegenseitigen Gewaltverzicht abzuschließen, war damit der entscheidende Durchbruch erzielt worden. Im Dezember desselben Jahres folgte ein Vertrag mit Polen. Daraufhin sah sich die SED-Führung gezwungen, mit der Bundesregierung in bilaterale Verhandlungen einzutreten, wollte sie nicht Gefahr laufen, als „Bremserin“ der Entspannungspolitik angesehen und isoliert zu werden.

Somit hatte sich die Führung der DDR nicht nur der durch die neue Ost- und Deutschlandpolitik in Bewegung geratenen internationalen Lage anzupassen, sie musste auch essenzielle eigene Interessen denen der Sowjetunion unterordnen. Erschwerend kam hinzu, dass das vorrangige deutschlandpolitische Ziel der SED, die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik zu erhalten, von der sowjetischen Vormacht keineswegs in der Weise unterstützt wurde, wie man dies erwartet hatte. Vielmehr musste die DDR mit der Bundesregierung nun in intensive Verhandlungen treten, ohne dass sich Bonn der gewünschten Vorbedingung beugen musste, sie auch als völkerrechtlich souveränen Staat anzuerkennen.

Gutnachbarliche Beziehungen
Nachdem schließlich die Westmächte und die Sowjetunion am 3. September 1971 das Berlin-Abkommen unterzeichnet und damit ihre gemeinsame und zugleich übergeordnete Verantwortung für Deutschland und Berlin bekräftigt hatten, konnte zwischen beiden deutschen Staaten als erste bilaterale Vereinbarung am 17. Dezember 1971 das „Transitabkommen“ geschlossen werden, mit dem der Verkehr zwischen Berlin (West) und dem Bundesgebiet geregelt wurde. Im Mai 1972 folgte ein umfassendes Verkehrsabkommen zwischen beiden deutschen Staaten. Schließlich wurde im Dezember 1972 der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen“ geschlossen, in dem sich beide Staaten dazu verpflichteten, „gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung“ zu pflegen.
Der Abschluss dieses Vertrages war allerdings nur möglich geworden, weil sich Bonn und Ost-Berlin zu weit reichenden Kompromissen durchgerungen hatten. So erkannte die Bundesregierung zwar die staatliche Existenz der DDR an, versagte ihr aber jedwede völkerrechtliche Anerkennung, da sie an der Auffassung festhielt, dass die beiden deutschen Staaten füreinander kein Ausland darstellen könnten, wie dies bei allen anderen nichtdeutschen Staaten der Fall sei. Diese Haltung, zusammen mit dem Ziel, die Wiederherstellung der Einheit auf friedlichem Wege zu erreichen, brachte sie im „Brief zur deutschen Einheit“ zum Ausdruck, der dem „Grundlagenvertrag“ beigegeben wurde.

Die DDR wiederum hatte durch diesen deutsch-deutschen Vertrag die internationale Anerkennung erhalten; bis Ende der siebziger Jahre nahmen fast alle Staaten der Welt offizielle diplomatische Beziehungen mit ihr auf. Zudem wurden beide deutsche Staaten am 18. September 1973 in die UNO aufgenommen. Insgesamt schuf der „Grundlagenvertrag“ die Basis dafür, dass trotz nach wie vor bestehender Teilung menschliche Erleichterungen ermöglicht wurden und der Besuchsverkehr zwischen beiden deutschen Staaten ausgebaut werden konnte.

Die jetzt durch internationale sowie bilaterale Verträge erreichte Öffnung der DDR war allerdings für den SED-Staat selbst keineswegs unproblematisch. Vielmehr musste die Führung in Ost-Berlin nicht zu Unrecht eine beträchtliche, existenzielle Gefährdung gerade in dem Umstand erblicken, dass mit dieser Öffnung unweigerlich politische, ideologische und kulturelle Sickereinflüsse des „Klassenfeindes“ verbunden waren. Zwar war letztlich die durch die „Ostpolitik“ erzwungene Öffnung auf Seiten der DDR marginal, weil, abgesehen von Rentnerinnen und Rentnern, bis zum Jahr 1980 nur 42000 jüngere Menschen aus der DDR die Erlaubnis erhielten, in die Bundesrepublik zu reisen. Aber bereits Ende 1973 hatten nahezu vier Millionen Bürgerinnen und Bürger aus der Bundesrepublik einschließlich West-Berlin die DDR besucht.

Wirksame Abgrenzung wurde für den SED-Staat daher zur Existenz sichernden Maxime. Ein massiver, personeller und struktureller Ausbau des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sowie verbesserte, präventive Überwachungs- und Einwirkungsmethoden waren die Reaktion des Honecker-Regimes. Bis Mitte der siebziger Jahre stieg die Zahl der „Inoffiziellen Mitarbeiter“ (IM) auf 180000 (1968 noch knapp 100000). Gleichzeitig wurden zunehmend subtile, „weiche“ Repressionsmechanismen angewandt, die auch Formen ausgeklügelten Psychoterrors – in der Sprache der Staatssicherheit „Zersetzungsmethoden“ – einschlossen. In diesen Jahren entwickelte sich die DDR zum Staat mit der höchsten Dichte an Geheimpolizisten.

Normalisierungsversuche
In finanzieller Hinsicht indessen konnte die DDR aus den deutsch-deutschen Verträgen und Abkommen beträchtliche Vorteile ziehen. Bis zum Herbst 1989 nahm der SED-Staat durch die Transitpauschale knapp acht Milliarden DM ein, für die Erneuerung bzw. den Ausbau von Autobahnen von der Bundesrepublik nach West-Berlin wurden der DDR zwei Milliarden DM überwiesen. Auch sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass die Bundesrepublik seit 1963 für den „Freikauf“ von über 33000 in der DDR inhaftierten politischen Häftlingen bis Ende 1989 circa 3,4 Milliarden DM aufgewendet hat, die dem SED-Staat in der begehrten westlichen Valuta ausgezahlt wurden. Zudem befand sich das SED-Regime aufgrund der Tatsache, dass es letztendlich über die Kontrolle der „Transitwege“ verfügte, in einer politisch durchweg vorteilhafteren Position.

Trotz aller bundesdeutschen Versuche zur „Normalisierung“ der innerdeutschen Beziehungen blieb die Deutschlandpolitik jedoch ein für beide Staaten brisantes, hochsensibles Feld. Das lag zunächst in den gegensätzlichen Zielsetzungen begründet. Während die Politik aller Bundesregierungen darauf gerichtet war, letztlich die Wiedervereinigung herbeizuführen, musste das SED-Regime, schon aus Gründen des Machterhalts, dies mit allen Mitteln verhindern. Dabei schreckte Ost-Berlin auch nicht vor Maßnahmen zurück, die die innersten Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik tangierten. So stellte die Enttarnung des persönlichen Referenten von Bundeskanzler Willy Brandt, Günter Guillaume, der im April 1974 als Spion der DDR verhaftet wurde, eine schwere Belastung der deutsch-deutschen Beziehungen dar, die am 6. Mai 1974 zum Rücktritt Brandts, des Architekten und Promotors der „Ostpolitik“, führte.

Innere Konflikte
Dennoch ist um die Mitte der siebziger Jahre zugleich auch der Wendepunkt anzusetzen, welcher der weiteren Entwicklung der DDR die entscheidende Prägung geben sollte. Noch im Jahr des KSZE-Vertragsabschlusses hatten 13000, im Folgejahr 1976 20000 DDR-Bürgerinnen und -Bürger einen Ausreiseantrag gestellt. Als „rechtswidrige Übersiedlungsersucher“ diffamiert, beriefen sie sich trotz meist massiver persönlicher, familiärer und beruflicher Repressalien ausdrücklich auf das von Honecker unterzeichnete und in der KSZE-Schlussakte zugesicherte Recht auf Freizügigkeit. Partei und Staatssicherheit gelang es nicht, den anschwellenden Strom von Ausreisewilligen zu stoppen, die hartnäckig auf dieses Recht pochten.

Die Aufsehen erregende Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz auf dem Marktplatz von Zeitz am 18. August 1976, der nach jahrelanger Schikanierung durch die Behörden und innerkirchlichen Konflikten mit seinem verzweifelten Akt darauf aufmerksam machen wollte, dass die freie Ausübung religiöser Überzeugung in der DDR fast durchweg mit persönlichen und beruflichen Nachteilen verbunden war, demonstrierte ebenfalls drastisch, dass die „Achtung von Religions- oder Überzeugungsfreiheit“ im Sinne der KSZE-Schlussakte vom SED-Staat keineswegs gewährleistet wurde.

Kritische Intellektuelle
Doch vor allem die Ausbürgerung des überzeugten Sozialisten, Regimekritikers, Dichters und Liedermachers Wolf Biermann nach einem Konzert in Köln im November 1976 markierte mehr als nur eine bloße Wende in der Kulturpolitik. Ihr folgte die Anordnung permanenten Hausarrests für den bekannten reformkommunistischen Systemkritiker, den Naturwissenschaftler Robert Havemann, der mit Biermann eng befreundet war. Die Maßnahme erfolgte ohne Rücksicht darauf, dass diese Zwangsausbürgerung notwendigerweise zum deutsch-deutschen Medienereignis werden musste. Ihr eigentlicher Zweck, „Kulturschaffende“ wieder auf linientreuen Kurs zu bringen und Kritik am SED-Staat so weit wie möglich zu unterbinden, zog nicht nur innen- und kulturpolitisch schwere Konflikte nach sich, der die Partei nur mit Mühe Herr wurde. Sie trug auch zu einem markanten Stimmungsumschwung in der DDR bei. Binnen weniger Jahre führte die Solidarisierung namhafter Autorinnen und Autoren sowie Kunstschaffender mit Biermann zu massiven Gegenmaßnahmen der Partei.

Alle diese Vorgänge illustrierten, dass sich hinter der permanent geschönten Fassade der DDR tief greifende Konflikte in nahezu allen Bereichen verbargen. Auch wenn die breite Masse der Bevölkerung in der DDR häufig nur in unterschiedlichem Maße über derartige Vorfälle im Einzelnen informiert war bzw. dafür Interesse zeigte, wurde jedoch von allen sozialen Schichten sehr wohl registriert, dass sich die Versorgungslage in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wieder spürbar zu verschlechtern begann.

Ausbürgerung Biermanns
Biermann hatte mit seinen Liedern die Regierenden bis zum Äußersten gereizt, die beobachten mussten, wie sehr seine Texte die Kritik multiplizierten. Aber auch die Aufmerksamkeit für den Liedermacher im Westen war für die SED-Führung unangenehm. Lieblingsthema der SED im ideologischen Streit um die Menschenrechte waren die Berufsverbote für Kommunisten in der Bundesrepublik. So traf sie der Vorwurf, selbst Berufsverbote zu verhängen, besonders hart. Als sich im Frühjahr 1976 eine Initiativgruppe „Freiheit der Meinung – Freiheit der Reise für Wolf Biermann, Wolf Biermann nach Bochum“ an der Bochumer Universität bildete, die mehrere zehntausend Unterschriften sammeln konnte, auch von prominenten Politikern und Publizisten, kam die SED-Führung in eine schwierige Lage. Sie konnte die Einladung Biermanns für Konzerte, die teilweise im Rahmen eines Jugendmonats der IG Metall im November stattfinden sollten, nicht mehr wie in den Vorjahren ignorieren. Sie genehmigte die Reise.

Am 13. November 1976 gab Biermann in der Kölner Sporthalle ein von Rundfunk und Fernsehen übertragenes Konzert. Die Erwartungen an dieses Konzert in Ost und West waren groß. Von Anfang an stand die Frage im Raum, ob Biermann wieder in die DDR zurückreisen durfte, war doch bekannt, dass die SED-Führung ihn loswerden wollte und ihm die Ausreise schon angeboten hatte. Aber es schien unwahrscheinlich, dass sich die SED mit einer Ausweisung, die als eine zynisch gestellte Falle erscheinen musste, vor der Weltöffentlichkeit bloßstellen würde.

Doch die „verdorbenen Greise“ im Politbüro, wie sie Biermann in einem seiner Lieder nannte, entschieden sich für die Ausweisung. Am 17. November verbreitete die DDR-Nachrichtenagentur ADN die Meldung: „Die zuständigen Behörden der DDR haben Wolf Biermann, der 1953 aus Hamburg in die DDR übersiedelte, das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen.“

Mit einer solchen Formulierung sollte suggeriert werden, dass der Liedermacher eigentlich ein Westdeutscher sei, dessen Aufenthalt in der DDR nun beendet würde. Am folgenden Tag legte Günter Kertzscher im Neuen Deutschland nach und stempelte ihn als Feind der DDR ab. Doch dies verschlimmerte die Situation nur und ließ die gesamte Affäre zu einer schweren politischen Niederlage der SED werden, da Biermann eine breite Solidarisierung in Ost und West erfuhr.

Gesellschaftliche Krisenerscheinungen
Erwies sich somit Ende der siebziger Jahre die ökonomische Lage der DDR für die SED zunehmend als schwierig, so zeigten sich parallel dazu auch in der Gesellschaft vermehrt Krisensymptome. In diesem Zeitraum kamen allmählich kleine Zirkel und Gruppen auf, die im Umkreis und unter dem Schutz der Kirchen als einzige nichtsozialistische und staatsfreie Großorganisationen zu wirken begannen. Ihr Zustandekommen entsprang unterschiedlichsten Motiven. Die Tatsache, dass öffentliche Diskussionen über Probleme in Staat und Gesellschaft nicht möglich waren, stellte eine wichtige, vielleicht die wichtigste Ursache dar. Auch die sich wieder verschärfende internationale Lage trug zu ihrer Entstehung bei: Der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Jahr 1979, die sowjetische Stationierung von Mittelstreckenraketen in Osteuropa und der DDR, die Androhung der Stationierung analoger Waffensysteme in Westeuropa und der Bundesrepublik infolge des NATO-Doppelbeschlusses sowie schließlich das Aufbrechen der lang angestauten Krise in Polen 1981 – dies alles ließ den Wunsch nach Frieden durch Abrüstung laut werden. Indirekte Unterstützung erfuhr die Entstehung solcher Gruppen in der DDR auch durch die Friedensbewegung in der Bundesrepublik.

Verhältnis Kirche und Staat
Trotz eines umfassenden Meinungsaustausches zwischen Staat und Kirchen am 6. März 1978 blieb das beiderseitige Verhältnis problematisch. Die Kirchenleitungen ihrerseits beschlossen ein Studien- und Aktionsprogramm „Erziehung zum Frieden“ mit einem jährlichen Veranstaltungskalender. Schon im November 1981 konnten 100000 der vom sächsischen Jugendpfarrer Harald Brettschneider entworfenen Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ verteilt werden. Massive Versuche, die meist jugendlichen Träger des Abzeichens von staatlicher Seite zu drangsalieren und zu gängeln, setzten deren Engagement genauso wenig ein Ende wie die von der FDJ organisierte Gegenbewegung unter dem Motto „Der Frieden muss verteidigt werden – der Frieden muss bewaffnet sein!“

Dennoch führten die vornehmlich, aber nicht ausschließlich im kirchlichen Umkreis entstehenden Gruppen nach wie vor ein Randdasein in der Gesellschaft. Denn „die Opposition“ hat es auch angesichts der sich verschärfenden politischen und ökonomischen Dauerkrise in den achtziger Jahren in der DDR nicht gegeben. Die Masse der Bevölkerung blieb „stimmlos-stumm“. Das war die millionenfache, durchaus „natürliche“ Abwehrreaktion auf ein totalitäres Herrschaftssystem, das beanspruchte, bis in das Privatleben seiner Bürgerinnen und Bürger hineinzuwirken und bei oppositionellem Verhalten nicht vor Repression und Gewalt zurückschreckte.

Zunahme der Ausreiseanträge
Sehr wohl nahm die Bevölkerung allerdings die so genannten „Antragsteller“ wahr, deren Zahl sich zwischen 1980 (21500) und 1989 (125000) versechsfachte, zumal sie häufig nicht nur Arbeits- und Berufskollegen, sondern auch Nachbarn und Freunde waren. Die ihnen gegenüber sehr oft praktizierte Isolierung und Diskriminierung, hatten sie einmal den Antrag auf Ausreise gestellt, erlebte man oft aus nächster Nähe mit und wurde Zeuge ihres Leidensweges, der sich manchmal über Jahre hinzog. Die angestrebte Übersiedelung in die Bundesrepublik, die zugleich ja auch das Verlassen der Heimat bedeutete, war indes keineswegs nur politisch motiviert.

Eine Befragung unmittelbar nach der „Wende“ ergab, dass die Unzufriedenheit mit den politischen Bedingungen in der DDR zwar den Hauptgrund darstellte, der niedrige Lebensstandard jedoch gleich an nächster Stelle rangierte. Hierzu gehörte auch der Unmut über die desolate Wirtschaftslage, die wachsende Umweltproblematik, die unbefriedigenden Wohnbedingungen und nicht zuletzt über die Beschränkung der Reisefreiheit. Auch das Erziehungs- und Bildungssystem sowie mangelnde Freizeitmöglichkeiten, ungenügende Verkehrs- und Kommunikationsverhältnisse und eine unzureichende Gesundheitsversorgung wurden als Gründe für den Ausreisewunsch genannt. Ein weiteres Motiv für die Ausreise stellten die schlechten und zum Teil gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen dar.

Im Unterschied zu den oppositionellen Gruppen wuchs die Gruppe der Antragsteller im Verlauf der achtziger Jahre allmählich zu einer Massenbewegung an, auch wenn bis 1983 jedes Übersiedlungsersuchen als rechtswidrig eingestuft wurde und bis 1989 keine rechtlich wirksame Anerkennung dieses Grundrechts erfolgte. Aufgrund des rapiden Ansteigens der Zahlen entschlossen sich die Behörden, 1984 erstmals circa 30000 Antragstellern die Übersiedelung zu gestatten, 1988 folgte eine zweite Welle mit 25300 Genehmigungen. Während solche Maßnahmen extern gleichzeitig Bestandteil deutsch-deutscher Verhandlungen – etwa über Kreditwünsche der DDR – waren, verfolgten sie intern vor allem den Zweck, ein Unruhepotenzial zu beseitigen. Doch dieses Ziel wurde letztlich nur vordergründig erreicht, da die erteilten Ausreisegenehmigungen viele weitere DDR-Bürgerinnen und -Bürger ermutigten, jetzt ihrerseits einen Antrag zu stellen. Das Problem ließ sich jedenfalls nicht grundlegend lösen. Zudem sorgten Ausreisewillige immer wieder spektakulär für Aufsehen. So kam es 1983 in Jena und 1988 in Leipzig, Dresden und Berlin zu Demonstrationen von Selbsthilfegruppen, und 1984 gelang einigen von ihnen über die amerikanische Botschaft und die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin die Übersiedelung in die Bundesrepublik.

Der Konflikt zwischen den oppositionellen Gruppen und Antragstellern ergab sich gleichsam zwangsläufig aus den gegensätzlichen politischen und individuellen Lebensvorstellungen. Denn während die Gruppenmitglieder fast durchweg eine Reform des „real existierenden Sozialismus“ anstrebten, zumindest mehrheitlich einen besseren, tatsächlich „demokratischen“ Sozialismus verwirklichen wollten, hatten die Antragsteller jegliche Hoffnung auf einen solchen aufgegeben. Sie zogen es trotz der massiven Hindernisse und Widrigkeiten vor, dem SED-Staat den Rücken zu kehren, um in der Bundesrepublik endlich die erhofften Lebens- und Arbeitsbedingungen zu finden.

Konfliktsituationen
Schon Ende der siebziger, vermehrt aber Anfang der achtziger Jahre, waren, ebenfalls im Schutze der Kirchen, „sozialethische Gruppen“ entstanden; so zum Beispiel in Berlin, Leipzig und Schwerin, die sich vornehmlich mit Umweltfragen, aber auch mit Problemen der Entwicklungsländer befassten. Besonders der 1983 in Berlin-Lichtenberg gegründete „Friedens- und Umweltkreis“ gewann an Bedeutung. Durch ihn entstand 1986 die Umweltbibliothek in der Zionskirche, welche die Untergrundzeitschrift „Umweltblätter“ herausgab und dadurch zu einem Kristallisationspunkt vor allem der Berliner Gruppen wurde, der Ausstrahlung auf die gesamte DDR hatte. Insbesondere die Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl im April 1986 und die nachfolgende Desinformationskampagne der DDR-Behörden verschafften der Bewegung weiteren Zulauf. Einen bewussten politischen Schritt, der für die nach wie vor im Schutz der Kirchen agierenden Gruppen ein völlig neues Vorgehen bedeutete, leitete die im Januar 1986 gegründete „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM) ein, welche erstmals öffentlich auftrat und dabei namentlich unterzeichnete Appelle herausgab, unter anderem mit der Forderung nach umfassenden demokratischen Reformen.

Die Gruppen existierten trotz gelegentlicher Unterstützung durch prominente Politiker der „Grünen“ aus der Bundesrepublik am Rande der DDR-Gesellschaft und wurden von dieser auch nur marginal wahrgenommen. Sie rückten jedoch insbesondere in Berlin ab der zweiten Jahreshälfte 1987 nicht zuletzt durch die Berichterstattung westdeutscher Medien stärker in den Blickpunkt einer größeren Öffentlichkeit. Im zeitlichen Kontext mit dem gemeinsam von der SPD und SED erstellten Papier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ im August 1987, besonders aber mit dem Honecker-Besuch in Bonn einen Monat später, konnten diese Gruppen von einer vorübergehenden deutschlandpolitisch motivierten Zurückhaltung der „staatlichen Organe“ profitieren.

Wenig später jedoch legte das Regime wieder eine härtere Gangart ein und spitzte damit die latent weiter bestehende Konfliktsituation zu. Mit der Stürmung der Berliner Umweltbibliothek durch das MfS in der Nacht vom 24./25. November 1987 und der Verhaftung ihrer Mitarbeitenden wurde eine neue Eskalationsstufe auf beiden Seiten erreicht; denn die Mitglieder und Sympathisanten der Gruppen begegneten diesem Vorgehen im Schutze der kirchlichen Bannmeile mit öffentlichen Mahnwachen und Protestkundgebungen, um die Freilassung der Verhafteten zu erzwingen. Als diese tatsächlich drei Tage später erfolgte, um einen internationalen Imageverlust zu vermeiden, bedeutete dies eine Niederlage der „Staatsmacht“.

Als sich Mitglieder der 1987 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft Staatsbürgerschaft“, ein Zusammenschluss von Oppositionellen und Ausreisewilligen, mit eigenen Transparenten und Plakaten an der offiziellen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration am 17. Januar 1988 beteiligten, nahmen sie bewusst den Konflikt mit dem Regime in Kauf. Trotz Behinderungen durch die Stasi gelang es westdeutschen Fernsehteams, entscheidende Szenen festzuhalten und die Nachricht darüber zu einer erstrangigen Meldung zu machen. Besonders das große Medieninteresse, das die unterschiedlichen Protestveranstaltungen in vielen Kirchen Berlins, aber auch anderswo fanden, ließ die Gruppen erstmals stärker aus ihrem gesellschaftlichen Randdasein herauswachsen und machte sie einer breiteren Öffentlichkeit in Ost und West bekannt. Die Existenz oppositioneller Gruppen in der DDR ließ sich damit nicht mehr länger leugnen. Gleichzeitig kam unter ihnen allmählich eine engere Vernetzung zustande.

Auswirkungen von Gorbatschows Politik
In die ab Mitte der achtziger Jahre um sich greifende Frustration über die spürbare Erstarrung des „Systems“, die auch in Teilen der SED virulent wurde, fiel der überraschende Machtwechsel in der Sowjetunion im Frühjahr 1985. Der neue Parteivorsitzende der KPdSU, Michail Gorbatschow, verkündete ein Reformprogramm mit den Schlagworten „Glasnost“ und „Perestroika“ (Offenheit und Umgestaltung), mit dem eine tief greifende Modernisierung des „real existierenden Sozialismus“ in der Sowjetunion durchgeführt werden sollte. Diese Initiative wurde von vielen DDR-Bürgerinnen und -Bürgern wie ein unerwarteter Lichtschein in tiefer Dunkelheit empfunden. Besondere Überraschung rief hervor, dass nach der unübersehbaren Stagnation, die das Breschnew-Regime und seine Epigonen hinterlassen hatten, ausgerechnet aus den Reihen der KPdSU selbst ein Reformansatz kam.

Das breite, zum Teil euphorische Interesse an Gorbatschows Politik und Persönlichkeit wurde verstärkt durch die Reaktionen der SED-Führung selbst. Diese sah instinktiv und zugleich durchaus realistisch die fundamentalen Konsequenzen einer sozialistischen Reformpolitik für die eigene Machtposition voraus. Entsprechend distanzierte sie sich vorsichtig, geriet aber dadurch in eine nach jahrzehntelanger Verkündung unverbrüchlicher Freundschaft mit der Sowjetunion („Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“) unglaubwürdige Verteidigungsposition. Die defensive, ablehnende Haltung der Parteispitze kam symptomatisch in der berühmt gewordenen Formulierung Kurt Hagers vom April 1987 zum Ausdruck, der in einem „Stern“-Interview sagte: „Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“ Diese Äußerung verstärkte auch bei einigen SED-Mitgliedern eine bisweilen schon früher eingetretene innerliche Distanzierung von der Partei und ihrer Führung.

Tatsächlich hatte sich auch in der SED infolge der immer spürbarer werdenden Mängel des Systems seit Mitte der achtziger Jahre ein Teil von Funktionären und Mitgliedern in eine Art innerer Opposition begeben, ohne allerdings selbst konkrete Reformvorstellungen zu entwickeln bzw. diese offen zu äußern. Häufig mit den Problemen und Frustrationen der Menschen in Alltag und Betrieb persönlich konfrontiert, hatten sie Positionen zu vertreten, die angesichts der Realität unhaltbar waren. Allenfalls waren sie nach Aussage eines Parteimitglieds Ausdruck „der systemisch bedingten Verknöcherung, Innovationsfeindlichkeit, Reformverweigerung und damit fehlenden Überlebensfähigkeit des Realsozialismus“. Damit schwand, von der Bevölkerung sensibel registriert, die Geschlossenheit der Partei. Die Reformwilligen vermissten jedoch einen „DDR-Gorbatschow“, der – und das war die vorherrschende Auffassung – den erforderlichen, umfassenden Reformprozess durch eine „Revolution von oben“ hätte herbeiführen können, zumal eine grundlegende, gar revolutionäre Transformation des „real existierenden Sozialismus“ von unten ohnehin undenkbar erschien.

Der politische Dissens zwischen der SED-Führung und dem Reformkurs Gorbatschows kam offen zum Ausbruch, als die Parteiführung die sowjetische Monatszeitschrift „Sputnik“ im November 1988 von der Bezugsliste strich. In ihr waren erstmals bisherige Tabuthemen sowjetischer Politik und Geschichte, wie zum Beispiel der deutsch-sowjetische Nicht-Angriffspakt von 1939, der „Hitler-Stalin-Pakt“, aufgegriffen und breit diskutiert worden. Diese über eine Zensur weit hinausgehende Maßnahme stieß in der Bevölkerung, aber auch unter vielen Parteimitgliedern auf Unverständnis und Entrüstung und verstärkte die Kritik an der Parteiführung, insbesondere an den als vergreist empfundenen Politbüro-Mitgliedern. Einer wachsenden Mehrheit von Menschen in der DDR wurde zunehmend bewusst, dass die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse langfristig so nicht bleiben konnten und der SED-Staat auf eine Krise zusteuerte.

Getrennte Entwicklung – innere Bezogenheit
Das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander und der in ihnen lebenden Menschen in diesem Zeitraum war von beträchtlicher Ambivalenz gekennzeichnet. Auf der obersten Ebene der Deutschlandpolitik lagen völlig unterschiedliche Positionen und Zielsetzungen vor. Während die SED-Führung daran interessiert war, durch strikte Abgrenzungspolitik die deutsch-deutschen Beziehungen auf allen Gebieten, abgesehen von den ökonomischen und finanziellen, möglichst zu begrenzen, war es das Ziel der Bundesregierungen, die Kontakte zwischen beiden deutschen Staaten und ihren Bürgerinnen und Bürgern auf allen Ebenen zu fördern und zu intensivieren. Grundlage dieser Politik war die 1969 von dem sozialliberalen Regierungsbündnis Brandt/Scheel begonnene „Ost- und Deutschlandpolitik“, die im Rahmen internationaler Verträge und Abkommen die SED-Führung zu einer begrenzten Öffnung zwang. Dennoch erreichte die DDR nie die völkerrechtliche Anerkennung seitens der Bundesrepublik Deutschland. Das galt auch für die DDR-Staatsbürgerschaft – eine Forderung, die Honecker bei einer Rede in Gera am 13. Oktober 1980 neben weiteren noch einmal massiv erhoben hatte. Immerhin entwickelte sich trotz internationaler Krisen und Konflikte zwischen Bonn und Ost-Berlin so etwas wie eine informelle Sicherheitspartnerschaft, zumal man sich in dem Bestreben einig war, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe.

Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass die jahrzehntelange Trennung und die unterschiedlichen Sozialisationsprozesse, welche die Deutschen in beiden deutschen Staaten zwangsläufig durchliefen, auch zu gegenseitiger Entfremdung sowie Miss- und Unverständnissen führten. Das viel zitierte Klischee vom arroganten, reichen Westdeutschen und vom verschüchterten, armen Ostdeutschen ist keineswegs nur ein bloßes Stereotyp. Auch dürfen die millionenfachen Besuche und Begegnungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das gegenseitige Interesse unterschiedlich intensiv war und sich in den siebziger und achtziger Jahren zunehmend auseinander entwickelte. Während in der Bundesrepublik, vor allem unter der jüngeren Generation, das Interesse an der DDR auch und nicht zuletzt deshalb zunehmend schwand, weil Reisen in westliche Länder interessanter als in den „Polizeistaat DDR“ erschienen und zudem preiswerter waren, blieb die DDR-Bevölkerung wie im Übrigen auch die SED unverändert auf den „Westen“ fixiert.

Es waren vor allem das westdeutsche Fernsehen und der Rundfunk, die von den Menschen in der DDR regelmäßig gesehen und gehört worden sind und damit täglich den weiter bestehenden Zusammenhang der Nation wie kein anderes Medium unter Beweis stellten. Da die Einfuhr von Zeitungen und Zeitschriften aus dem „Westen“ weitgehend unterbunden werden konnte, präsentierten Rundfunk und Fernsehen eine ständige Alternative und zugleich einen primären Vergleichsmaßstab auf allen Ebenen. Und dies, obwohl es bis in die siebziger Jahre hinein Versuche gab, den Empfang westdeutscher Fernsehsender in der DDR zu unterbinden und obwohl die Bundesrepublik in der Propaganda durchweg negativ als „Gegner“ oder „Feind“ kolportiert wurde.

Für diejenigen DDR-Bürgerinnen und -Bürger – und das war die Mehrheit –, die „den Westen“ aus eigener Anschauung nicht kannten, blieb das Bild der Bundesrepublik jedoch letztlich eindimensional und ohne Tiefenschärfe, weil der Fernsehschirm nicht die konkrete Realität widerspiegelte und es an persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen mit dieser Welt fehlte. Der „Westschock“ nach der Maueröffnung belegt dies eindrucksvoll. So verkörperte der westdeutsche Konkurrenz- und Vergleichsstaat ein Wunsch- wie Zerrbild zugleich.

Darüber hinaus hat es bei einer Mehrheit der DDR-Bevölkerung durchaus auch eine Bindung an den Staat der SED gegeben. „Solche Werte wie Arbeitsplatzsicherheit, niedrige Preise des Grundbedarfs und Unentgeltlichkeit des Gesundheitswesens haben die Loyalitätsbereitschaft großer Kreise der Bevölkerung viel stärker getragen, als es der Glaube an die parteiliche Wahrheit der ideologischen Doktrin jemals vermochte.

Gründe für den Zusammenbruch
Die DDR, der Staat der SED, ist aus mehreren, unterschiedlichen Gründen zusammengebrochen. Hier muss zwischen äußeren und inneren Faktoren differenziert werden. Tatsächlich veränderten sich die Existenzbedingungen der DDR durch die Politik Gorbatschows grundlegend. Der von ihm eingeschlagene Weg zu einer Reform des „real existierenden Sozialismus“ im Zeichen von Perestrojka und Glasnost stieß bei der Führungsspitze der SED auf Ablehnung und damit zu einer auch für die DDR-Bevölkerung unübersehbaren Distanzierung von der Sowjetunion, die bis dahin, zumindest in der Propaganda, den primären Maßstab und Bezugspunkt gebildet hatte. Die Betonung der Eigenständigkeit der DDR und damit des „Sozialismus in den Farben der DDR“ (Erich Honecker auf dem 7. Plenum des ZK der SED) ließ den SED-Staat aber auch gegenüber den reformbereiten „sozialistischen Bruderstaaten“ Polen und Ungarn auf Distanz gehen. Damit zeigte er nur umso krasser die eigene Erstarrung und Reformunfähigkeit auf. Noch entscheidender war aber, dass mit dem fundamentalen Politikwechsel in der UdSSR durch Gorbatschow die bis dahin existente Bestandsgarantie der DDR durch die Sowjetunion aufgegeben wurde; damit stand erstmals ihre eigenstaatliche Existenz zur Disposition. Das Nichteingreifen sowjetischer Streitkräfte während der Revolution von 1989/90 in der DDR besiegelte faktisch ihr Ende.

Die internen Gründe des Zusammenbruchs des SED-Staats sind noch vielfältiger. Zu keiner Zeit war das mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht von der KPD/SED errichtete Herrschaftssystem demokratisch legitimiert. Zudem war und blieb die DDR immer nur ein Teilstaat einer Nation und stand mit dem anderen deutschen Teilstaat Bundesrepublik Deutschland in fortwährender Konkurrenz, der wiederum für die Partei wie für die Bevölkerung auf allen Ebenen Vergleichsmaßstab blieb.

Ebenso wenig gelang es, ein leistungsfähiges Wirtschaftssystem zu errichten, das international wettbewerbsfähig war und mehr als nur die Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen konnte. Aus dieser ökonomischen Ineffizienz resultierte spätestens ab Mitte der siebziger Jahre eine gleich bleibend hohe Verschuldung, die mit eigener Kraft nicht mehr zu bewältigen war, auch und nicht zuletzt deshalb, weil die zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr finanzierbaren sozialpolitischen Leistungen beibehalten wurden.

Mit den wachsenden Wirtschafts- und Versorgungsproblemen nahm auch der innenpolitische Druck zu. Ab Mitte der achtziger Jahre klafften Anspruch und Wirklichkeit des real existierenden Sozialismus in der DDR immer mehr auseinander, die Ideologie des Marxismus-Leninismus verlor rapide an Überzeugungskraft. Die spürbare Erstarrung des Systems wurde in allen Bevölkerungsschichten bis in die SED hinein registriert. Die Zahl oppositioneller Gruppen im Schutz der Kirchen wuchs, noch mehr nahm die Zahl der Ausreisewilligen zu. Mit dem massenhaften Exodus von DDR-Bürgerinnen und -Bürgern, die ihr Land im Spätsommer 1989 verließen und verlassen wollten, war letztlich das Ende des SED-Staats besiegelt – ein Staat, dem die eigenen Menschen davonliefen, besaß keine Existenzgrundlage mehr.

2 Kommentare:

  1. Sie schreiben: "Obwohl selbst kein Wirtschaftsfachmann, sondern ein Spezialist für ideologische Erziehung, Kaderausbildung und innere Sicherheit, hielt Honecker (DDR Oberstaatsrat ab 1971) [...]."
    Dies ist falsch. Erich Honecker war von 1971 bis 1989 SED-Generalsekretär und von 1976 bis 1989 Vorsitzender des Staatsrats; ein Amt des "Oberstaatsrats" gab es in der DDR nicht.

    MfG

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  2. danke für den hinweis. also: "vorsitzender des staatsrats"

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