Freitag, 8. Januar 2010

Epochen: Nachkriegsliteratur

Nach 1945 Faszination durch Abbild, Zerrbild, Vexierbild

Thematisierung der Kriegszeiten und Kriegsgefangenschaften.
Aufkommen des Grotesken, des Unnormalen und Unstimmigen, Zerrbildern, abstrusen Wirklichkeit.
In der DDR vor allem Heroisierung eines neuen sozialistischen Ideals, der Familienidylle u. a.
Im Westen oft auch Thematisierung einer Bedrohung der Welt (u. a. bedingt durch den Kalten Krieg)
Insgesamt folgt die Literatur vielen poetischen Experimenten sowohl im Stil als auch in der Sprache, zum Beispiel in der Andeutung und Aufnahme von Tabuthemen, verbunden mit einer Wortlosigkeit und gleichzeitigen Provokationen.

Begriff
Die Nachkriegsliteratur wird oft auch als "Trümmerliteratur" und "Kahlschlagliteratur" bezeichnet. Mit Trümmer sind nicht nur die in Schutt und Asche liegenden Städte gemeint, sondern auch die zerstörten Ideale und Utopien, die Wirklichkeit des Krieges und die Erfahrungen zwischen Tod und Überleben innerhalb der Trümmer. Die Bezeichnung Kahlschlagliteratur weist auf den Bruch mit der bisherigen Traditionen der Schriftsteller der Inneren Emigration und einen sprachlichen und konzeptionellen Neubeginn hin. Dichtungen der Kahlschlagliteratur sind sowohl durch eine Entpolitisierung und Enthistorisierung, als auch durch eine Zeitlosigkeit bestimmt. Die poetischen Forderungen der Kahlschlagliteratur konnten jedoch nur in Ausnahmefällen verwirklicht werden.

Historischer Hintergrund
Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Nach dem Abwurf der amerikanischen Atombomben am 6. und 9. August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki kapitulierte auch Japan.
Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war das Leben in Deutschland bestimmt von Hungersnot und Lebensmittelrationierung, zerstörten Städten und Wohnungsmangel, sowie zahlreichen Flüchtlingsströmen. Auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 beschlossen die Siegermächte die Aufteilung Deutschlands und Berlins in vier Besatzungszonen (Sowjetische, Englische, Amerikanische und Französische Besatzungszone), die Entmilitarisierung (Entwaffnung, Abrüstung) und Entnazifizierung (Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse), die Demokratisierung (durch Alliierten Kontrollrat Neueinrichtungen der Medien, Presse und Parteien) und Umsiedlung Deutscher z.B. aus Schlesien, aus Ostpreußen und aus dem Sudentenland.
In der Sowjetischen Besatzungszone wollte die UdSSR eine Zentralisierung nach sowjetischem Muster. Die KPD und SPD wurden gezwungen, sich zur SED zu vereinigen. Industriebetrieben und landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und verstaatlicht. Reparationen mussten an die UdSSR geliefert werden. Mit der Währungsreform 1948 wurde die Mark eingeführt. 1948 versuchte die UdSSR mit der Berlin-Blockade die Kontrolle über die gesamte Stadt zu erlangen. Die Blockade wurde 1949 mit dem Austritt der UdSSR aus dem Alliierten Kontrollrat beendet. Ein Volksrat, unter dem Vorsitz Otto Grotewohls, wurde beauftragt eine Verfassung auszuarbeiten. Am 7. Oktober 1949 wurde die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik mit Genehmigung der UdSSR verkündet. Der erste Staatspräsident wurde Wilhelm Pieck, erster Ministerpräsident Otto Grotewohl.
Die Westzonen Deutschlands sollten nach westlichem Vorbild demokratisiert werden und ein eigenständiger wirtschaftlicher Neubeginn geschaffen werden. Nach den Parteiengründungen der SPD, CDU, FDP und CSU wurden die Landesregierungen der einzelnen Bundesländer gewählt. 1947 trat der Marshall-Plan in Kraft. Für den Wiederaufbau und für die Abwendung des Kommunismus erhielt Westdeutschland amerikanische Kredite. Mit der Währungsreform wurde die DM eingeführt. Während der Berlin-Blockade unterstützten die Amerikaner und Engländer die Einwohner Westberlins über eine Luftbrücke mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern. Mit dem Zusammenschluss der Englischen und Amerikanischen Besatzungszone kommt es zur Bildung der Bizone. Aus der Vereinigung der Bizone mit der Französischen Besatzungszone entstand die Trizone. Ein parlamentarischer Rat, gebildet aus den Ministerpräsidenten der einzelnen Länder, wurde mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes beauftragt. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz mit Genehmigung der Westmächte verkündet. Am 07. September 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Konrad Adenauer wurde erster Bundeskanzler, Theodor Heuß erster Bundespräsident.

Nachkriegsliteratur
Die Nachkriegsliteratur war auf vielfache Weise gespalten: ein Teil der Autoren bemühten sich um eine Verarbeitung der NS-Diktatur, ein anderer Teil um die Verdrängung; es bestand eine Kontroverse zwischen Innerer Emigration und Exilliteratur; bald vollzog sich auch eine politische Trennung mit der Etablierung der beiden deutschen Einzelstaaten.
In der Sowjetischen Besatzungszone fand die Verarbeitung der Vergangenheit von vielen zurückgekehrten Exilautoren eine breite Öffentlichkeit. Zu ihnen gehörten u.a. Bertolt Brecht, Anna Seghers, Johannes Becher, Arnold Zweig, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Erich Arendt und Ernst Bloch. Die Veröffentlichung von Sammlungen von Werken der Inneren Emigration, wie die Moabitter Sonette (1945) Alfred Haushofers oder der Gedichtband In den Wohnungen des Todes (1947) von Nelly Sachs, waren ein anderer Weg den Nationalsozialismus zu verarbeiten.
Thomas Mann lehnte die von Walter von Molo angebotene Rückkehr nach Deutschland mit der Begründung ab, sich nach der Zeit der NS-Diktatur von seiner Heimat entfremdet zu haben. Dies war der Auslöser für einen Streit zwischen Exilliteratur und Innerer Emigration.
Exilautoren, die wie Alfred Döblin in die westlichen Besatzungszonen zurückgekehrt waren, mussten bald feststellen, dass sich ihr Engagement zur Aufarbeitung der Vergangenheit nicht sehr erwünscht war. Statt dessen setzten sich allmählich konservative Autoren durch, die jüngste Vergangenheit verdrängte man. Aus Enttäuschung gingen viele der nach Westdeutschland zurückgekehrten Exilautoren daraufhin erneut ins Exil oder siedelten in die Osthälfte Deutschlands über. Die konservativen Autoren, wie Werner Bergengruen, Gertrud von Le Fort oder Ernst Wiechert, genossen ein größeres Ansehen als die Autoren der Zeitschrift Der Ruf oder der Gruppe 47.
Eine endgültige Spaltung der Nachkriegsliteratur trat mit der Etablierung der beiden deutschen Einzelstaaten ein. Nicht mehr Innere Emigration und Exilliteratur, sondern die politischen Überzeugungen der Autoren trennte die Literatur in eine konservativ-bürgerliche Literatur und in eine sozialistisch-orientierte Literatur. Die Differenz der politischen Ideologien der Siegermächte spielte dabei eine wichtige Rolle. In der Sowjetischen Besatzungszone begann mit dem Aufbau des Sozialismus auch der staatliche Eingriff auf das kulturelle Leben der Gesellschaft. In den westlichen Besatzungszonen hingegen legte man Wert auf eine antikommunistische Haltung der Autoren. Eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen der Buch- und Zeitschriftproduktion in Ost- und Westdeutschland war die Kontrolle durch die jeweiligen Besatzungsmächte.

Gruppe 47
Nach dem Verbot der Zeitschrift Der Ruf gründete Hans Werner Richter die Gruppe 47. Die Gruppe 47 war ein Netzwerk von Autoren und Verlegern, die sich einmal jährlich für 3 Tage zu einer Versammlung trafen. Eingeladene Nicht-Mitglieder konnten dabei ihre noch nicht veröffentlichten Werke vorstellen. Die erste Lesung wurde von Wolfdietrich Schnurre mit seiner Erzählung Das Begräbnis eröffnet. Die Gruppe 47 galt auch als Talentschmiede, da viele der vorlesenden Autoren später große Bekanntheit erlangten, z.B. Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Paul Celan, Günter Eich, Günter Grass, Wolfgang Hildesheimer, Uwe Johnson, Wolfdietrich Schnurre und Martin Walser. Die Vereinigung besaß jedoch weder einen Vorstand noch eine Satzung und verfolgte kein literarisches Programm.
Problematiken wie Antisemitismus und Judentum wurden dabei nicht behandelt. Ebenso wenig fand eine Diskussion über den verlorenen Krieg oder die Teilung Deutschlands statt. Aktuelle politische Probleme wurden nicht behandelt. Die vorgetragenen Texte bildeten allein den Schwerpunkt der Diskussionen. Der Auftritt Peter Handkes 1966 und seine Beschimpfung der Gruppe 47 leitete deren Ende ein. 1967 fand die letzte Zusammenkunft der Vereinigung statt.

Lyrik
Die Lyrik wurde in der Nachkriegsliteratur aus dem folgenden Grund zur wichtigsten Gattung: die Prosa erschien vielen Autoren durch die nationalistische Sprache als verunglimpft und unglaubwürdig. Viele Autoren sahen daher in der Lyrik die beste Möglichkeit, ihre Empfindungen und Erfahrungen auszudrücken. Wie die gesamte Nachkriegsliteratur war auch die Lyrik geprägt von der Spannung zwischen Aufbruchsstimmung und Untergangsstimmung. Die bekanntesten Lyriker waren Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Günter Eich, Karl Krolow, Elisabeth Langgässer und Hans Erich Nossack.
Die Lyrik Johannes R. Bechers zeichnet sich v.a. durch Formtradition aus. Die häufige Verwendung der Sonettform brachte ihm bei anderen Autoren, z.B. Stephan Hermlin, jedoch scharfe Kritik ein. Ein poetischer Neubeginn in der Lyrik gelang keinem Autor. Denn dieser erforderte den Verzicht auf Ausschmückungen jeglicher Art um die Wirklichkeit möglichst unverfälscht darzustellen. Eine Ausnahme für diese Kahlschlagliteratur ist das Gedicht Inventur von Günter Eich, das 1945 in einem Gefangenenlager entstand. Dieses Gedicht blieb jedoch die Ausnahme in seinem Gesamtwerk.

Prosa
Die Verunglimpfung und Unglaubwürdigkeit der Prosa im Nationalsozialismus bereitete vielen Autoren der Nachkriegszeit Probleme, ihre Empfindungen in Prosa auszudrücken. Autoren der Inneren Emigration, wie Werner Bergengruen oder Gertrud von Le Fort, setzten ihre konservativen Dichtungen fort, die teilweise religiöse Tendenzen enthielten. Einige Exilromane, wie Hesses Glasperlenspiel (1943) oder Thomas Manns Doktor Faustus (1947) genossen eine breite Rezeption. Der poetische Neubeginn in der Prosa geschah durch den Anspruch des "Einfachwerdens".
Die wichtigste Prosaform in der Nachkriegszeit war die Kurzgeschichte. Sie wurde von vielen Autoren, besonders von Borchert und Schnurre, genutzt. Als Vorbild hatten sie die amerikanische short story sowie die Autoren William Faulkner, Ernest Hemingway und Edgar Allan Poe. Zu den bekanntesten Kurzgeschichten Borcherts gehören: Die Küchenuhr, An diesem Dienstag und Die Kirschen.

Drama
Auf den Bühnen der Nachkriegszeit gab es ein unterschiedliches Bild in in der Sowjetischen Besatzungszone und den westlichen Besatzungszonen. Während im Osten Werke von Exildramatikern ein großes Publikum fanden, wurden im Westen Lessings Nathan und Goethes Iphigenie wieder aufgeführt. Von den in der Nachkriegszeit entstandenen Theaterstücken gab es nur wenige, die ein großes Publikum fanden: Borcherts Draußen vor der Tür (1947), Zuckmayers Des Teufels General (1946) und Weisenborns Die Illegalen (1946). Diese wurden jedoch nicht in der Sowjetischen Besatzungszone aufgeführt. Borcherts Draußen vor der Tür galt als Generationenstück, da sich hier die junge Generation der Heimkehrer mit der Figur Beckmann identifizieren konnte, die von Erinnerungen des Krieges geplagt ist, diese aber von den Mitmenschen verdrängt wurden. Zuckmayers Des Teufels General beschäftigte sich mit der Thematik des Militärs im Nationalsozialismus. Weisenborns Die Illegalen griff die Problematik der Widerstandsbewegungen auf.
Brecht, dem die Einreise nach Westdeutschland verweigert wurde, übersiedelte 1949 nach Ostberlin, wo er zusammen mit Helene Weigel das Berliner Ensemble gründete. Mutter Courage wurde im gleichen Jahr uraufgeführt.

Kurzgeschichte
Die Kurzgeschichte ist eine leicht überschaubare epische Kurzform, die selten länger als 5 DIN A4 Seiten ist. Sie zeigt einen Ausschnitt aus einer Handlung oder einem Raum und gibt einen wichtigen Lebensabschnitt eines Menschen wieder. Die handelnden Figuren werden nur gezeigt, sie können nicht entwickelt werden. Eine Einleitung fehlt häufig, das Ende ist meist offen.

Vertreter
Alfred Andersch (1914-1980)
Bertolt Brecht (1898-1956)
Werner Bergengruen (1892-1964)
Heinrich Böll (1917-1985)
Wolfgang Borchert (1921-1947)
Paul Celan (1920-1970)
Nelly Sachs (1891-1970)
Reinhold Schneider (1903-1958)
Arno Schmidt (1914-1979)
Günther Weisenborn (1902-1969)
Wolfgang Weyrauch (1904-1980)
Ernst Wiechert (1877-1950)
Carl Zuckmayer (1896-1977)

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