Freitag, 8. Januar 2010

BRD: Die Wiedervereinigung (Teil 6)

Das vereinte Deutschland

Im Rahmen der Entspannungspolitik entwickelte sich schrittweise ein eigenartiges Sonderverhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten. Zwar blieb es bei Mauer, Stacheldraht und Schüssen an der Grenze, bei der Betonung der Eigenständigkeit der DDR und dem Verfassungsgebot der Wiedervereinigung im Westen. Das Ausmaß der totalitären Grausamkeit wurde aber abgemildert.
Statt in harte Haft wurden DDR-Oppositionelle nach Westen abgeschoben, was Protestaktionen kalkulierbarer machte. Wichtig dabei war der Wunsch der DDR-Führung nach Respektabilität im Westen, aber auch nach Transferzahlungen. Häftlingsfreikauf, Einreise- und Aufenthaltsgebühren, Pauschalen für die Straßenbenutzung, Finanzierung von Verkehrswegen nach Berlin, kirchliche Zahlungen, private Geschenke und westdeutsche Kredite stabilisierten das DDR-Regime, machten es aber gleichzeitig abhängiger und weniger gewaltsam.
In der westdeutschen Öffentlichkeit wurden der Unrechtscharakter des Regimes immer weniger registriert. Die Medien berichteten über wirtschaftliche Erfolge der DDR, ein Diplomat beschrieb den Charme der "Nischengesellschaft". Westdeutsche Ministerpräsidenten wetteiferten um Fototermine bei Erich Honecker, und 1987 schließlich erschien dieser zum Staatsbesuch in Bonn, Saarbrücken und München, womit die Anerkennung der DDR vollendet zu sein schien und ihre internationale Respektabilität einen Höhepunkt erreichte.

Der Zusammenbruch der DDR 1989 traf die Westdeutschen überraschend, mehrheitlich hatten sie die Wiedervereinigung (Vereinigung) abgeschrieben. Enthusiastisch wurde das Ende von Mauer und Stacheldraht zwischen Ost und West begrüßt. In Bezug auf die eigentliche Wiedervereinigung aber fand Bundeskanzler Kohl es nötig, den Deutschen zu versprechen, keinem werde es schlechter und vielen besser gehen und es werde nicht zu Steuererhöhungen kommen. SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine machte seinen geringen Enthusiasmus für die staatliche Wiedervereinigung im Wahlkampf immer wieder deutlich.

Der Wettbewerb der westdeutschen Parteien überlagerte rasch auch die Politik im Osten. Zunächst profilierten sich die neugegründete ostdeutsche SPD und Bündnis ’90 als einzige unbelastete Parteien. Im Frühjahr 1990 gelang es der CDU, aus zwei Blockparteien und einer Neugründung eine "Union für Deutschland" zu formieren. Entsprechendes geschah bei der FDP. Mit einem Kanzlerwahlkampf erreichte die Koalition 1990 in allen drei Wahlen in Ostdeutschland dominierende Mehrheiten.

Ökonomisch war die DDR seit der Öffnung der Grenze auf die Bundesrepublik angewiesen. Im nun einsetzenden Vergleich der beiden Systeme und der Herausstellung der skandalösen Verhältnisse in der DDR erstrahlte die BRD in hellem Licht. Das Grundgesetz, einst als Provisorium konzipiert, war inzwischen zum Symbol des neuen demokratischen Deutschlands geworden (Verfassungspatriotismus).
Für die Mehrheit der Westdeutschen stand es nicht zur Debatte, für die Ostdeutschen war sein Artikel über den Beitritt populär. Hier wiederholte sich das materielle Motiv bei der Eingliederung in den Westen, das auch für die Westdeutschen so wichtig gewesen war. Im Vertrag über den Beitritt der DDR, bei dessen Gestaltung Innenminister Schäuble dominierte, wurde die BRD in jeder Beziehung zum Modell. Außer der Fristenlösung wurde hier nichts verändert, in der DDR dagegen so gut wie alles.
In Hinsicht auf die ökonomische Neuordnung fiel die Bundesregierung ihrer eigenen Propaganda zum Opfer. Während die dynamische Marktwirtschaft in der alten BRD von staatlichen, großindustriellen und korporatistischen Entscheidungsmustern begleitet wurde, setzten Bundesregierung, Sachverständigenrat und Wirtschaft nun auf die Selbstorganisationskraft des Marktes, aus der "blühende Landschaften" entstehen sollten.
Die Folge dieser Illusionen war eine weitgehende Entindustrialisierung Ostdeutschlands. Zudem kam es zur Blockierung ökonomischer Entscheidungen wegen unklarer Eigentumsverhältnisse vor allem bei Grundstücken. Das Wegbrechen der industriellen Basis führte auch zum Verlust der meisten Industriearbeitsplätze, was wiederum die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte bedeutete. Mittelfristig hat das einen empfindlichen Rückgang der Bevölkerung im Osten zur Folge, zugespitzt von den geringen Geburtenraten.

Der Verzicht auf Opfer und Einschnitte zu Beginn der Wiedervereinigung, wie sie von Helmut Schmidt 1989 angemahnt wurden, machte spätere Belastungen erforderlich, die vor allem über die sozialen Sicherungssysteme vorgenommen wurden. Das hohe Niveau des privaten Verbrauchs, wie er etwa im Tourismus zum Ausdruck kommt, führte 1991-97 zu einer negativen Leistungsbilanz Deutschlands gegenüber dem Ausland.
Unlustgefühle und Parteienverdrossenheit waren 1992/93 die Formen, in denen sich die Frustration äußerte. Die Spannungslosigkeit des Parteiensystems nach dem Verlust der äußeren Feinde und Bedrohungen führte in diesem Zusammenhang zu weiterer Demotivation. Erst die Bundestagswahl 1994 mit einer klareren Konfrontation der Parteien brachte wieder stärkere Integration. Im internationalen Vergleich kann das Parteiensystem jedoch als recht stabil gelten.

Im Gegensatz zu den inneren Aspekten der Wiedervereinigung konnten die außenpolitischen Aspekte sehr erfolgreich bewältigt werden. Der Friedenskonsens, der sich in Deutschland entwickelt hatte, war dabei wesentlich. Die Auflösung des sowjetischen Imperiums wurde ohne unnötigen Triumphalismus genutzt. Die Verankerung im Westen blieb erhalten und wurde verstärkt, ohne dass die sich auflösende Sowjetunion dies verhindern konnte.
Die Furcht vor einem neuen großen Deutschland, die bei einigen Nachbarn ebenso wie bei einigen Intellektuellen geäußert wurde, erwies sich als unsinnig. Die pragmatische Haltung des "Handelsstaates", den Außenminister Genscher verkörperte, erleichterte den Übergang zu internationalen Lösungen, insbesondere die Grenzverträge mit den Nachbarn. Zum ersten mal seit 1914 ist Deutschland wieder ein Land ohne Grenzprobleme.

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