Mittwoch, 6. Januar 2010

Epochen: Sturm und Drang

Sturm und Drang (1767-1785)

Betonung des Genies als Überordnung über den kritischen Vernunftgedanken.
Herz und Gefühl werden der Vernunft und dem kritischen Geist stärker gegenübergestellt.
Verherrlichung der Natur (Aufklärung hatte die Natur naturwissenschaftlich „entgöttert“).
Heraufbeschwörung eines Ideals und eines unbekannten Höherem, im Sinne einer naturverbundenen Naivität oder einem sorgenfreien Landleben.
Hervorhebung der Individualität des Menschen.
Hervorhebung der Poesie (auch die Bibel sei v. a. Poesie!) und damit Aufwertung der Kunst
überhaupt.
Vertreter u. a. J. W. Goethe (1749-1832), Johann G. Herder (1744-1803), Friedrich von
Schiller (1759-1805)

Begriff
Der Begriff des Sturm und Drang ist von Klingers gleichnamigen Drama Sturm und Drang (1776) hergeleitet. Der Beginn der Epoche wurde mit dem Erscheinen der Herderschen Fragmente 1767 markiert. Der Sturm und Drang endet mit dem Wandel Goethes und Schillers zu Klassikern, ausgelöst durch Goethes Bildungsreise in Italien und Schillers Kant-Studien.

Literatur des Sturm und Drang
Geniekult
Im Mittelpunkt neuer ästhetischer Betrachtungen steht nun das Genie, nicht mehr die Regelpoetik. Die Zeit des Sturm und Drangs wird auch als Geniezeit bezeichnet, die viele Genies hervorbrachte, und in welcher der Dichter gegenüber anderen Menschen herausgehoben wurde. Starke Impulse erhielten die Genies durch Shakespeare. Während Gottsched ihn wegen seiner "Regellosigkeit" ablehnte, fand er bei den Stürmern und Drängern große Anerkennung. Somit konnte nun die Ablösung der französischen klassizistischen Dichtung ermöglicht werden. Shakespeare avancierte bei den Stürmern und Drängern zum Vorbild als genialer Dichter.
Ein Entstehungsgrund für den Geniekult war auch der hinzugekommene starke Konkurrenzdruck auf dem literarischem Markt. Die neue Literatur ist einerseits durch Genialität, andererseits durch Subjektivität geprägt worden. Die Elemente des Geniedaseins standen jedoch im Gegensatz zur aufklärerischen Rationalität. Jedoch darf der Sturm und Drang nicht als Kampf gegen die Aufklärer gesehen werden. Mit dem Sturm und Drang trat die Aufklärung in eine neue Phase ein. Die aufklärerische Rationalität wurde durch die Gefühlsregungen der Stürmer und Dränger erweitert. Verstand und Gefühl bildeten nun eine Einheit.
Die Literaturauffassung der Stürmer und Dränger besagt, daß die Literatur für größere Volksteile zugänglich werden sollte, und nicht mehr nur für Intellektuelle. Der Dichter stellte sich also in den Dienst des Bürgertums.

Das Drama im Sturm und Drang
Die bevorzugte literarische Form der Stürmer und Dränger war das Drama, ihm wurde eine erzieherische und bildende Rolle zugeschrieben. Die Idee vom Nationaltheater und vom bürgerlichen Drama, wie sie auch Lessing hatte, setzten die Stürmer und Dränger fort. Mit Werken wie Die Räuber (1781) und Kabale und Liebe (1784) von Schiller und den Götz von Berchlingen (1773) von Goethe wurde das deutsche Theater mit dem französischen und englischem Theater ebenbürtig.
Bei den Räubern von Schiller sind, mehr als in einem anderen Drama jemals zuvor, revolutionäre, antifeudale Elemente ausgebildet. Außerdem zeigt es die Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts, das von organisiertem Bandenwesen und Pauperismus (Massenarmut) geprägt wurde. Die Behandlung aktueller Gesellschaftsprobleme ist eine Neuerung des Dramas des Sturm und Drang gegenüber anderen Epochen.
In vielen Dramen des Sturm und Drang findet man das Motiv der "verführten Unschuld", das durch die Stürmer und Dränger in ein neues Licht gerückt wurde. Von der Kritik am Feudalismus, bei welcher der Feudalherr als Verführer der bürgerlichen Unschuld dargestellt wird, übt man jetzt Kritik an der bürgerlichen Moral, welche dies regungslos hinnimmt.
Eines haben die Dramen des Sturm und Drang alle gemeinsam: am Ende scheitert der Held an den gesellschaftlichen Verhältnissen und kann seine Identität nur durch Mord, Freitod oder Selbstverstümmelung bewahren.
Wichtige Themen der Dramen im Sturm und Drang waren Freiheitskampf gegen die Gesellschaft (z.B. Schiller: Kabale und Liebe, Die Räuber; Goethe: Goetz von Berchlingen; Klinger: Die Zwillinge) und gesellschaftliche Geschlechterauffassungen (z.B. Lenz: Die Soldaten).

Das bürgerliche Drama
Merkmale des bürgerliche Dramas sind die Einhaltung von Tugenden, wie Humanität, Toleranz, Sittlichkeit und Gefühlsbetontheit. Die Vertretung dieser Tugenden dient als Abgrenzung gegenüber der höfischen Gesellschaft. Der erste "richtige" bürgerliche Held in einem Drama ist Luise, die Tochter eines Stadtmusikanten, aus Schillers Kabale und Liebe. Auch der Handlungsort des bürgerlichen Dramas spielt nun in Deutschland, und nicht wie bisher im Ausland. In Kabale und Liebe wird versucht, die Standesschranken zu überwinden, doch fordert dies das Opfer von Luise durch eine Intrige (=Kabale) der höfischen Gesellschaft.

Dramen von Lenz
Die Dramen von Lenz zeichneten sich durch eine bedeutsame Änderung aus: der Vermischung von Komödischem und Tragischem. Lenz schuf somit eine neue Dramenform, in der sich Tragisches mit Komischen und Satirisches mit Ernstem verband. In seiner Komödie Die Soldaten (1776) wird dies besonders deutlich. Die Ständeklausel wird nicht eingehalten, da Figuren niederen Standes (z.B. Wesener, Stolzius, Marie) neben Figuren des adligen Standes (z.B. Desportes, Gräfin De La Roche) auftreten. Der Stoff handelt von etwas Alltäglichem (Liebe), jedoch ist er nicht frei erfunden. Das Kriterium des Redestils ist auch nicht eingehalten, da verschiedene Redestile nebeneinander stehen. Der Ausgang des Werkes entspricht nicht dem einer Komödie im klassischen Sinne. Es findet zwar eine glückliche Versöhnung am Ende zwischen Marie und Wesener als Happy-End statt, jedoch steht dies neben dem tragischen Tod von Stolzius und Desportes. Die Soldaten ist keine Komödie nach aristotelischen Kriterien, sondern eine Mischform, eine Tragikkomödie.
Bedeutend ist Lenz auch wegen seinen Dramenfiguren. Er schuf zwiespältige Charaktere, deren Verhalten von den sozialen Verhältnissen bestimmt wurde, in dem sie lebten. Sie stellten also keine Tugendgestalten, wie Nathan bei Lessing, oder Heldenfiguren wie Karl Moor bei Schiller.

Der Roman im Sturm und Drang
Der bürgerliche Roman hatte vor der Epoche des Sturms und Drangs das gleiche Problem, wie das bürgerliche Drama. Beide standen sie noch in ihren Kinderschuhen. Erst mit Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774) erschien der erste bürgerliche Roman. Die Form des Briefromans ist eine Möglichkeit, das Gefühlsleben durch unkonventionelle Sprache zu artikulieren. Werther ist ein junger, bürgerlicher Intellektueller, der am Eingliederungsversuch eines bürgerlichen Individuums in die feudale Ordnung (Ständegesellschaft) scheitert und darauf Selbstmord begeht. Werther war ein Außenseiter der Gesellschaft und nicht angepaßt und integriert wie Albert. Werther behauptete für sich das Recht auf Selbstbestimmung, Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Dies war jedoch nicht bei der Arbeit möglich, da er sich als Sekretär auch unterordnen muß. Einzig die Liebe bot ihm einen Ausweg aus der Subordination (Unterordnung), weil sie eine Gleichstellung zwischen zwei Liebenden ermöglichen kann.
Der bürgerliche Roman gilt als Vorläufer des späteren modernen Romans in Deutschland.

Die Lyrik im Sturm und Drang
Die Lyrik des Sturm und Drangs war bestimmt von Liebes-, Natur- und lehrhaften Gedichten. Die Empfindungslyrik spielte eine wesentliche Rolle, da auch sie, wie der Briefroman, das Gefühlsleben zum Ausdruck bringen konnte. Einige Beispiele sind Willkommen und Abschied (1771) von Goethe oder Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen (1773) von Gottfried August Bürger.

Die Anfänge der Balladendichtung
Anstöße für Entwicklung der Kunstballade waren aus England gekommen: 1760 Macphersons Ossian und 1765 Percys Reliquies of Ancient Poetry (Sammlung von engl. Volksballaden, Verserzählungen, Liedern und Gedichten ab 15. Jh.). Percys Sammlung löste in Deutschland eine Sammlertätigkeit nach einheimischen Volksliedern aus (Herder, Goethe).
Die ersten Balladen stammten von Hölty: 1771 Ebenteuer und 1773 Die Nonne. Im selben Jahr wie Höltys Nonne entstand darauf Bürgers Lenore. Bürger versuchte mit seiner volksmäßigen Literatur alle Volksschichten gleichmäßig anzusprechen. Er gebrauchte dabei eine nicht rationale und nicht logische Darstellung, sowie rein rhapsodischen Stil (Lebendigkeit, Unmittelbarkeit, Leidenschaftlichkeit, Volksmäßigkeit). Bürgers Pfarrers Tochter von Taubenhain war eine Mischung von Gespenstermotiv und Motiv der Kindsmörderin.
Im Jahr 1771 beschäftigte sich auch Goethe mit dem Sammeln von Volksballaden im Elsaß. Mit Goethes Fischer 1778 und Erlkönig 1782 begründete er die naturmagische Ballade.

Literarische Formen
bürgerliches Drama
bürgerlicher Roman
Empfindungslyrik

Vertreter
Gottfried August Bürger (1747-1794)
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832)
Friedrich von Schiller (1759-1805)
Johann Gottfried von Herder (1744-1803)
Friedrich Maximillian Klinger (1752-1831)
Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)
Johann Georg Hamann (1730-1788)
Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (1737-1823)
Heinrich Leopold Wagner (1747-1779)
Karl Philipp Moritz (1756-1793)

Werke
Gedicht eines Skalden (1766) - Gerstenberg
Über die neuere deutsche Literatur. Fragmente (1767) - Herder
Ugolino (1768) - Gerstenberg
Willkommen und Abschied (1771) - Goethe
Wanderers Sturmlied (1772) - Goethe
Von deutscher Art und Kunst, einige fliegende Blätter (1773) - Herder
Lenore (1773) - Bürger
Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen (1773) - Bürger
Götz von Berchlingen mit der eisernen Hand (1773) - Goethe
Ganymed (1773) - Goethe
Prometheus (1773, Dramenfragment) - Goethe
Clavigo (1774) - Goethe
Die Leiden des jungen Werthers (1774) - Goethe
Mahomets Gesang (1774) - Goethe
Der neue Menoza oder Geschichte des umbanischen Prinzen Tandi (1774) - Lenz
Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung (1774) - Lenz
Das leidende Weib (1775) - Klinger
Pandämonium Germanikum (1775) - Lenz
Die Soldaten (1776) - Lenz
Sturm und Drang (1776) - Klinger
Die Zwillinge (1776) - Klinger
Mailied (1776, späte Fassung) - Goethe
Stella. Ein Schauspiel für Liebende (1776) - Goethe
Die Kindsmörderin (1776) - Wagner
Gedichte (1778) - Bürger
Des Pfarrers Tochter von Taubenhain
Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet (1784) - Schiller
Die Räuber (1781) - Schiller
Die Verschwörung des Fiesko zu Genua (1783) - Schiller
Kabale und Liebe (1784) - Schiller
Prometheus (1785) - Goethe
Anton Reiser (1785/90) - Moritz

Der Erlkönig - Goethe
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? -
Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? -
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -

"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? -
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. -

"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? -
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. -

"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt."
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! -

Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

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