Mittwoch, 6. Januar 2010

Epochen: Realismus

Realismus (1850-1890)

Furcht vor Industrialisierung begünstigt eine kritische Haltung vor der gesellschaftlichen Entwicklung. Vormarsch der Naturwissenschaften und der Technik erscheinen der Literatur bedrohlich. Wachsender Kapitalismus und wachsende Ungerechtigkeiten in den Gesellschaftsformen führen dazu, dass diese Themen literarisch aufgenommen werden.

Vgl. Friedrich Engels: „Das Kommunistische Manifest“ (1848) und Karl Marx mit der Herausgabe von „Das Kapital“ (1867)
Auch in der Philosophie kommt es zur Diskussion um Fortschritt (Feuerbach) und Pessimismus (Schopenhauer).

In der Literatur findet sich ein Spiegel der Gesellschaft im Sinne einer oberflächlichen Gläubigkeit an den Fortschritt und das Gute der technischen Entwicklung auf der einen Seite und einer resignierenden und pessimistischen und beängstigten Bewusstseinsebene auf der anderen Seite. Aber auch der bewusste literarische Rückzug in eine scheinbare Idylle kommt thematisch immer wieder auf.

Begriff
Realismus ist abgeleitet von lat. res - Ding, Sache, Wirklichkeit. Der Realismusbegriff ist äußerst vielschichtig und mehrdeutig. So tritt er in der Literatur z.B. als Stilmerkmal, in Form eines kritischen Realismus' und sozialistischen Realismus', oder als Bezeichnung für eine Literaturperiode, als poetischer Realismus, auf.
Der Begriff des poetischen Realismus' wurde von Otto Ludwig 1871 auf den deutschen Realismus der 2. Hälft des 19. Jahrhunderts angewandt.
Der kritische Realismus ist ein Gegenbegriff zu Strömungen des beginnenden 20. Jahrhunderts wie z.B. der Expressionismus, dem sich Autoren wie Döblin oder H. Mann verschrieben. Diese Form des Realismus wird als "kritisch" bezeichnet, da die Sozialkritik an der Gesellschaft deutlicher zum Ausdruck kam, als im poetischen Realismus.
Der Begriff sozialistischer Realismus ist eine Bezeichnung für eine Methode, die von Autoren angewandt wurde zur Darstellung der Realität, die im Einklang mit dem Sozialismus einhergehen sollte. Beabsichtigt war eine Erziehung des Lesers zum Sozialismus. Ausgehend von den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in der UdSSR wurde der sozialistische Realismus bald in vielen sozialistischen Ländern zur vorgeschriebenen Methode in der Literatur, so auch ab den 50er Jahren in der DDR.

Historischer Hintergrund
Ausgelöst durch die Februarrevolution 1848 in Frankreich, begann im folgenden Monat in Wien, Berlin und anderen Staaten des Deutschen Bundes die so genannte Märzrevolution. Am 18. Mai 1848 tagte in der Frankfurter Paulskirche das erste deutsche Nationalparlament und arbeitete eine Verfassung aus. Im März 1849 lehnte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm vom Parlament angebotene Kaiserwürde ab. Das Parlament wurde vom Militär aufgelöst, Aufstände in einzelnen Kleinstaaten blutig niedergeschlagen. Damit war das Scheitern der Nationalversammlung besiegelt.
1861 wurde Wilhelm I. König von Preußen, 1862 Otto von Bismarck preußischer Ministerpräsident. 1864 kam es zum Deutsch-dänischen Krieg, in dem die ehemaligen dänischen Herzogtümer Schleswig und Holstein an die Siegermächte Preußen und Österreich abgetreten wurden. Im Streit um die deutsche Hegemonie begann 1866 der Preußisch-Österreichische Krieg, der zugunsten der Preußen entschieden wurde und die Auflösung des Deutschen Bundes zur Folge hatte. 1867 wurde der Norddeutsche Bund gegründet. Zwischen 1870 bis 1871 fand der Deutsch-französische Krieg, der durch die Emser Depesche von deutscher Seite gegenüber Frankreich provoziert wurde, statt. Bismarck war durch ein vorher geschlossenes Bündnis mit dem Norddeutschen Bund und süddeutschen Staaten gestärkt. Die deutschen Staaten fügten Frankreich zwei schwere Niederlagen zu, nach denen es kapitulierte. Die restlichen süddeutschen Staaten traten nun dem Norddeutschen Bund bei.
Am 18. Januar 1871 kam es in Versailles zur Reichsproklamation. Damit wurde die deutsche Einheit vollendet. Der preußische König wurde zum deutschen Kaiser, Bismarck zum Reichskanzler. Da die Reichseinigung nur durch einige Kriege zustande kam, spricht man von einer "Blut- und Eisenpolitik" Bismarcks.
Die Innenpolitik des Deutschen Reichs wurde vor allem durch die so genannte "Zuckerbrot- und Peitschenpolitik" Bismarcks bestimmt. Mit der "Zuckerbrotpolitik" meint man die Schaffung der Sozialgesetze, um die durch Industrialisierung und Wirtschaftskrise verschärften sozialen Gegensätze zu bekämpfen. Die "Peitschenpolitik" bezeichnet vor allem Bismarcks Streit mit den liberalen Parteien und den Sozialdemokraten, der im so genannten "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" 1878 gipfelte. Eine entscheidende Rolle spielte auch der Kulturkampf zwischen Staat und Kirche von 1871 bis 1878, der durch die Kampfgesetze des Staates (Kanzelparagraph, Schulaufsichtsgesetz, Verbot der Jesuitenorden, Maigesetze, Brotkorbgesetze, Klostergesetz, Expatriierungsgesetz) entschieden wurde.
Bismarck strebte nach der Reichsgründung eine friedliche Außenpolitik mit der Isolation Frankreichs an, die sich in seiner Bündnispolitik zeigt. 1873 kam es zum Dreikaiserabkommen zwischen Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn. 1879 entstand der Zweibund zwischen Deutschland und Österreich, der 1882 zum Dreibund mit Italien erweitert wurde. Nach Konflikten zwischen Russland und Österreich-Ungarn scheiterte die Dreikaiserpolitik. 1887 ging das Deutsche Reich mit Russland einen Rückversicherungsvertrag ein. Mit Bismarcks Rücktritt 1890 setze in der deutschen Außenpolitik unter Wilhelm II. ein Kurswechsel zu Aufrüstung und Kolonialpolitik ein.

Merkmale realistischer Literatur
Realistische Literatur durfte nicht bloß eine Wiedergabe der Wirklichkeit sein, sondern musste mit literarischen Mitteln die Realität verarbeiten. Die Dichter des Realismus kombinierten dabei eine genaue Realitätsbeschreibung mit einer subjektiven Erzählhandlung. Häufig wurde die Wirklichkeit mit Humor und Ironie verklärt. Ein weiteres Merkmal ist die formale, inhaltliche und stoffliche Einfachheit in oft breiter Ausgestaltung. Auf drastische Stilmittel wurde weitestgehend verzichtet. Durch eine harmonische Verbindung der inneren und äußeren Räumlichkeiten in vielen Werken und durch die breite Ausgestaltung wurde beim Leser der Eindruck der Realität und die unmittelbare Anteilnahme daran erweckt.
In Fontanes Aufsatz Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848 von 1853 gibt er folgende Definition zum Realismus: "Er ist die Widerspiegelung alles wirklichen Lebens, aller wahren Kräfte und Interessen im Elemente der Kunst, er ist, wenn man uns diese scherzhafte Wendung verzeiht, eine Interessenvertretung auf seine Art. Er umfängt das ganze reiche Leben, das Größte wie das Kleinste, den Kolumbus, der der Welt eine neue zum Geschenk machte, und das Wassertierchen, dessen Weltall der Tropfen ist, den höchsten Gedanken, die tiefste Empfindung zieht er in sein Bereich, und die Grübeleien eines Goethe wie Lust und Leid eines Gretchen sind sein Stoff. Denn alles das ist wirklich. Der Realismus will nicht die bloße Sinnenwelt und nichts als diese, er will am allerwenigsten das bloß Handgreifliche, aber er will das Wahre. Er schließt nichts aus als die Lüge, das Forcierte, das Nebelhafte, das Abgestorbene - vier Dinge, mit denen wir glauben, eine ganze Literaturepoche bezeichnet zu haben."

Ballade
Kritik an den sozialen Missständen der Gesellschaft ist auch in den Balladen vergebens zu suchen. Stattdessen steht oftmals ein Held im Mittelpunkt, der sich nicht für gesellschaftliche Veränderungen, sondern sich für die Erhaltung bestehender Verhältnisse einsetzt. Dies zeigt sich z.B. in der Opferbereitschaft des Steuermanns in Fontanes John Maynard. Der Ausschnitt aus der Wirklichkeit ist sehr klein und auf die Ursache für den Feuerausbruch auf dem Schiff gibt es keinen Hinweis.
Im Realismus sind auch viele historische Balladen entstanden, in denen weniger große Helden und ihre Taten als vielmehr unbedeutende Personen mit großer Willensstärke im Mittelpunkt standen. Balladen von solchem Typus sind zahlreich bei C. F. Meyer zu finden, z.B. Die Füße im Feuer, Bettlerballade, Mit zwei Worten, Der gleitende Purpur aber auch bei Fontane, z.B. Herr Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Epik im Realismus
1855 erschien Gustav Freytags Roman Soll und Haben, der zum Vorbild für die ganze Epoche wurde. Einer der wichtigsten Vertreter der Epik im Realismus war Fontane. Seine ersten Werke waren zunächst noch frei von Gesellschaftskritik oder Aufklärung bestehender Missverhältnisse, diese kamen erst in seinen späteren Werken, meist aber versteckt, zum Ausdruck.
Die Novelle fand in der Zeit des Realismus ihren Höhepunkt. Es entstanden zahlreiche Novellenzyklen und Novellen, wie in noch keiner anderen Epoche zuvor. Noch heute sehr bekannt ist z.B. Kellers Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla oder Storms Novellen Der Schimmelreiter und Immensee. Aber auch viele andere Autoren waren als Novellisten tätig, so z.B. C. F. Meyer, A. Stifter, Th. Fontane, J. Gotthelf, F. Grillparzer, W. Raabe, Ferdinand v. Saar und Marie von Ebner-Eschenbach.

Entwicklungsroman
Auf zwei unterschiedliche Weisen wurde die Wirklichkeit der bürgerlichen Welt in den Entwicklungsromanen des Realismus gezeigt: in einer optimistischen und in einer pessimistischen Darstellung. Kellers Grüner Heinrich und Freytags Soll und Haben stehen beispielhaft für viele andere Romane von diesem Typus.

Gesellschaftsroman
Fontane: Effi Briest (1895)
In Effi Briest übte Fontane, wenn auch verhalten, Kritik an den Konventionen und Normen der preußischen Gesellschaft und ihrem Ehrenkodex und zeigt die Unfähigkeit des Adels ihr zu entkommen. Der Roman basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1886, bei der sich ein preußischer Offizier mit einem Amtsrichter um eine Liebesaffäre dessen mit seiner Frau duellierte. Der Roman trägt den Titel seiner Hauptfigur, Effi Briest, deren Eltern Vertreter des reichen Landadels sind. Sie heiratet den über 20 Jahre älteren Baron von Instetten auf Rat ihrer Eltern, ohne zu wissen, was auf sie zukommt. Von ihrem Mann oft allein gelassen, wird sie von ihrem bisherigen Leben zunehmend gelangweilt. Auch die Geburt ihrer Tochter kann nicht viel an der Situation ändern. Einzig die kurze Liebesbeziehung mit dem Bezirkskommandanten Crampas bringt ihr etwas Abwechslung. Als Instetten versetzt wird, finde die Liebesbeziehung ein Ende. Nach einigen Jahren findet Instetten aber die Briefe von Crampas, die er an Effi schrieb. Um die Verletzung seiner Ehre zu bereinigen und sein Ansehen wiederherzustellen, fordert er Crampas zu einem Duell, wobei dieser stirbt. Danach kommt es zur Scheidung von Effi, die Tochter bleibt beim Vater. Nach einem Wiedersehen Effis mit ihrer Tochter, die sie nicht mehr als ihre Mutter erkannte, bricht Effi zusammen. Ihre Eltern nehmen die im Sterben liegende Effi bei sich wieder auf, die nach kurzer Zeit schließlich stirbt. Die Handlung des Romans wird ruhig und kritiklos erzählt. Die Frage nach der Schuld am Tode Effis wird nicht direkt gestellt.

Historischer Roman
Fontane: Vor dem Sturm. Roman aus dem Winter 1812 auf 13 (1878)
Vor dem Sturm war Fontanes erster Roman und sollte ein Gesellschaftsbild vor den Befreiungskriegen gegen Napoleon geben. Der wichtigste Handlungsstrang beschäftigt sich mit der Hauptfigur Lewin von Vitzewitz, dessen persönliche Probleme von geschichtlichen Geschehnissen überlagert werden, wobei er einmal nur sehr knapp dem Tode entrinnen konnte. Schauplatz der Handlung ist meist das Schloss Hohen-Vietz, neben Schloss Guse und Alt-Berlin. Der historische Roman Vor dem Sturm zeichnet sich durch eine Vermischung von Geschichtlichem mit Privatem sowie vielen Informationen über das bäuerliche, bürgerliche und adlige Milieu aus.

Novelle
Die wichtigsten Novellendichter im Realismus waren Keller (Romeo und Julia auf dem Dorfe, Kleider machen Leute), Meyer (Der Schuss von der Kanzel), Storm (Der Schimmelreiter, Immensee), Fontane (Schach von Wuthenow), Stifter (Der Hochwald), Raabe (Zum wilden Mann), Gotthelf (Die schwarze Spinne), Grillparzer (Der arme Spielmann), M. von Ebner-Eschenbach (Das Schädliche), F. von Saar (Ginevra) und Heyse (L' Arrabbiata).
Die bekanntesten Novellen Kellers erschienen im Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla. Romeo und Julia auf dem Dorfe erschien im ersten Band 1856, Kleider machen Leute im zweiten Band 1874. C. F. Meyer konnte mit seinen Novellen ebenso viel Ansehen erringen, wie sein Landsmann Keller. Mit etwa 80 Novellen, darunter Der Schimmelreiter, Immensee, Ein Doppelgänger, Pole Poppenspäler, Aquis submersus u.a. schuf Storm die meisten deutschsprachigen Novellen im Realismus.

Reiseliteratur
Mit Heine erreichte die Reiseliteratur einen ersten Höhepunkt an kritischer Betrachtung der Gesellschaft. Schon vor dem Realismus ist die Reiseliteratur zur kritiklosen Betrachtung verkommen, die aber beim Publikum sehr beliebt war und durch die ab 1850 entstandenen Journale rasch verbreitet werden konnte. Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg (1862, 1863, 1873, 1882) wurden deshalb von einem großen Teil des Publikums missverstanden und nicht als Kritik aufgefasst. Über das Leben in Amerika berichtete v. a. Friedrich Gerstäcker in seinen Reiseromanen wie Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten (1844), Die Regulatoren in Arkansas (1846) und Die Flusspiraten des Mississippi (1848).

Realistisches Drama
Das Drama trat im Realismus weit hinter Epik und Lyrik zurück. Von den Dramatikern dieser Zeit sind lediglich Hebbel, Grillparzer und Anzengruber besonders hervorgetreten und populär geworden.
Für Hebbel sollte die Auflösung der Konflikte auch in den Individuen zum Ausgleich gebracht werden. Seine Vorbilder waren Kleist, Lessing und Schiller, mit denen er sich häufig auseinander setzte. Hebbel hatte mit seinen Werken zwar große Erfolge erzielt, doch wurde er öfters missverstanden. Hebbels Dramen weisen nur wenig Individualismus auf, da er sich vor allem beim Sprechstil seiner Stücke an die Tradition des Wiener Burgtheaters hielt. Dramatische Spannung wurde vor allem durch den Gegensatz Individuum - Gesellschaft erzeugt.

Vertreter
Theodor Fontane (1819-1898)
Gottfried Keller (1819-1890)
Theodor Storm (1817-1888)
Wilhelm Raabe (1831-1910)
Adalbert Stifter (1805-1868)
Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)
Friedrich Hebbel (1813-1863)
Franz Grillparzer (1791-1872)
Jeremias Gotthelf (1797-1854)
Gustav Freytag (1816-1895)
Paul Heyse (1830-1914)
Otto Ludwig (1813-1865)
Friedrich Gerstäcker (1816-1872)
Ferdinand von Saar (1833-1906)
Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)
Peter Rosegger (1843-1918)
Ludwig Anzengruber (1839-1889)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen