Samstag, 9. Januar 2010

DDR: Gorbatschow und die DDR

Die Auswirkungen von Gorbatschows Politik auf die DDR

In die ab Mitte der achtziger Jahre um sich greifende Frustration über die spürbare Erstarrung des „Systems“, die auch in Teilen der SED virulent wurde, fiel der überraschende Machtwechsel in der Sowjetunion im Frühjahr 1985. Der neue Parteivorsitzende der KPdSU, Michail Gorbatschow, verkündete ein Reformprogramm mit den Schlagworten „Glasnost“ und „Perestroika“ (Offenheit und Umgestaltung), mit dem eine tief greifende Modernisierung des „real existierenden Sozialismus“ in der Sowjetunion durchgeführt werden sollte.
Diese Initiative wurde von vielen DDR-Bürgerinnen und -Bürgern wie ein unerwarteter Lichtschein in tiefer Dunkelheit empfunden. Besondere Überraschung rief hervor, dass nach der unübersehbaren Stagnation, die das Breschnew-Regime hinterlassen hatte, ausgerechnet aus den Reihen der KPdSU selbst ein Reformansatz kam.

Das breite, zum Teil euphorische Interesse an Gorbatschows Politik und Persönlichkeit wurde verstärkt durch die Reaktionen der SED-Führung selbst. Diese sah instinktiv und zugleich durchaus realistisch die fundamentalen Konsequenzen einer sozialistischen Reformpolitik für die eigene Machtposition voraus. Entsprechend distanzierte sie sich vorsichtig, geriet aber dadurch in eine nach jahrzehntelanger Verkündung unverbrüchlicher Freundschaft mit der Sowjetunion („Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“) unglaubwürdige Verteidigungsposition.
Die defensive, ablehnende Haltung der Parteispitze kam symptomatisch in der berühmt gewordenen Formulierung Kurt Hagers vom April 1987 zum Ausdruck, der in einem „Stern“-Interview sagte: „Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“ Diese Äußerung verstärkte auch bei einigen SED-Mitgliedern eine bisweilen schon früher eingetretene innerliche Distanzierung von der Partei und ihrer Führung.

Tatsächlich hatte sich auch in der SED infolge der immer spürbarer werdenden Mängel des Systems seit Mitte der achtziger Jahre ein Teil von Funktionären und Mitgliedern in eine Art innerer Opposition begeben, ohne allerdings selbst konkrete Reformvorstellungen zu entwickeln bzw. diese offen zu äußern. Häufig mit den Problemen und Frustrationen der Menschen in Alltag und Betrieb persönlich konfrontiert, hatten sie Positionen zu vertreten, die angesichts der Realität unhaltbar waren.
Allenfalls waren sie nach Aussage eines Parteimitglieds Ausdruck „der systemisch bedingten Verknöcherung, Innovationsfeindlichkeit, Reformverweigerung und damit fehlenden Überlebensfähigkeit des Realsozialismus“. Damit schwand, von der Bevölkerung sensibel registriert, die Geschlossenheit der Partei.
Die Reformwilligen vermissten jedoch einen „DDR-Gorbatschow“, der – und das war die vorherrschende Auffassung – den erforderlichen, umfassenden Reformprozess durch eine „Revolution von oben“ hätte herbeiführen können, zumal eine grundlegende, gar revolutionäre Transformation des „real existierenden Sozialismus“ von unten ohnehin undenkbar erschien.

Der politische Dissens zwischen der SED-Führung und dem Reformkurs Gorbatschows kam offen zum Ausbruch, als die Parteiführung die sowjetische Monatszeitschrift „Sputnik“ im November 1988 von der Bezugsliste strich. In ihr waren erstmals bisherige Tabuthemen sowjetischer Politik und Geschichte, wie zum Beispiel der deutsch-sowjetische Nicht-Angriffspakt von 1939, der „Hitler-Stalin-Pakt“, aufgegriffen und breit diskutiert worden. Diese über eine Zensur weit hinausgehende Maßnahme stieß in der Bevölkerung, aber auch unter vielen Parteimitgliedern auf Unverständnis und Entrüstung und verstärkte die Kritik an der Parteiführung, insbesondere an den als vergreist empfundenen Politbüro-Mitgliedern.
Einer wachsenden Mehrheit von Menschen in der DDR wurde zunehmend bewusst, dass die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse langfristig so nicht bleiben konnten und der SED-Staat auf eine Krise zusteuerte.

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