Freitag, 15. Januar 2010

Kasper Hauser: Sein Leben und Schicksal

Kaspar Hauser:
angeblich 30. April 1812, † 17. Dezember 1833 in Ansbach, war ein Findelkind ungeklärter Herkunft.

Kasper Hausers Geschichte ...
Hauser tauchte am 26. Mai 1828 in Nürnberg als etwa 16-jähriger, geistig anscheinend zurückgebliebener und wenig redender Jugendlicher auf. Durch seine späteren Aussagen, dass er, solange er denken könne, bei Wasser und Brot immer ganz allein in einem dunklen Raum gefangen gehalten worden sei, erregte der Fall internationales Aufsehen.
Ein zeitgenössisches, weltbekannt gewordenes Gerücht behauptete, Hauser sei der 1812 geborene Erbprinz von Baden, den man gegen einen sterbenden Säugling vertauscht und beiseite geschafft habe, um einer Nebenlinie des badischen Fürstenhauses die Thronfolge zu ermöglichen.
Am 17. Oktober 1829 wurde Hauser mit einer ungefährlichen Schnittwunde aufgefunden, und am 14. Dezember 1833 kam er mit einer schließlich tödlichen Stichwunde nach Hause. In beiden Fällen behauptete er, Opfer eines Attentäters geworden zu sein. Seine Anhänger vermuten ein politisch motiviertes Verbrechen; nach einer Gegenmeinung handelte es sich um Selbstverletzungen, die er sich vermutlich aus Enttäuschung über das nachlassende öffentliche Interesse an seiner Person beigebracht habe.
Am 26. Mai 1828, traf der Schuhmachermeister Weickmann in Nürnberg einen etwa 16-jährigen Jungen an, mit dem er sich kurz unterhielt. Der Junge sagte, er komme aus Regensburg. Er trug einen an den Rittmeister der 4. Eskadron des 6. Chevauxlegers-Regiments in Nürnberg (zu diesem Zeitpunkt Friedrich von Wessenig) adressierten Brief bei sich. Man brachte Hauser zu ihm. Von Wessenig ließ den Jungen nach einem kurzen Aufenthalt in seiner Wohnung zur Polizeiwache führen, wo dieser den Namen „Kaspar Hauser“ aufschrieb und zeigte, dass er Geld kannte, Gebete sprechen und eingeschränkt lesen konnte. Er beantwortete jedoch nur wenige Fragen, und sein Wortschatz schien begrenzt.
Kaspar Hauser kam in das Gefängnis auf dem Luginsland, unter die Obhut von Gefängniswärter Andreas Hiltel. Er aß zunächst nur Brot und trank nur Wasser. Sein geistiger Zustand erregte das Interesse von Juristen, Theologen und Pädagogen, die zahlreiche Untersuchungen mit ihm durchführten und ihm Unterricht im Sprechen gaben. Hausers Sinnesorgane wurden als überempfindlich, seine Muskeln als unterentwickelt beschrieben.
Zunächst wurde vermutet, dass Kaspar „wie ein halbwilder Mensch in Wäldern erzogen“ worden sei. Nach vielen Gesprächen mit Hauser verfasste Bürgermeister Jakob Binder jedoch eine öffentliche Bekanntmachung, in der er von einer anderen Vorgeschichte berichtete, die Kaspar dann später auch selbst schriftlich niederlegte. Nach dieser vielgeglaubten und vielbezweifelten Erzählung war er, so lange er denken könne, immer ganz allein in halbliegender Stellung in einem fast lichtlosen Raum gefangen gehalten worden. Während des Schlafes habe man ihm Wasser und Brot gebracht, ihn gereinigt und in frische Wäsche gekleidet, seien ihm Haare und Nägel geschnitten worden – die Tiefe des Schlafzustandes wurde durch die Vermutung erklärt, dass man ihm Opium gereicht habe. Seine Notdurft habe er in ein Gefäß verrichtet, das in einer Vertiefung des Bodens stand und ebenfalls nächtens geleert wurde. Erst kurz vor seiner Freilassung sei ein Mann, dessen Gesicht er aber nie gesehen habe, bei ihm erschienen. Dieser habe ihn durch Führen der Hand im Schreiben unterrichtet und ihn dann bis kurz vor Nürnberg gebracht; erst auf diesem Marsch habe er das Stehen und Gehen gelernt. Den Satz, er wolle ein Reiter wie sein Vater werden, habe er von dem unbekannten Mann durch wiederholtes Nachsprechen erlernt, ohne den Sinn der Worte zu erfassen.
Am 18. Juli 1828 wurde Hauser zur Pflege und Erziehung bei dem wegen Kränklichkeit beurlaubten Gymnasialprofessor und späteren Religionsphilosophen Georg Friedrich Daumer untergebracht, der ihm in der Folgezeit Unterricht in zahlreichen Fächern erteilte. Hierbei zeigte sich, dass Hauser über eine beachtliche handwerkliche und künstlerisch-zeichnerische Begabung verfügte. Daumer, ein belesener Gelehrter mit einem selbst für seine Zeit ungewöhnlich starken Hang zum Spekulativen, führte mit Hauser auch zahlreiche homöopathische und magnetische Experimente durch.
Am 17. Oktober 1829 zur Mittagszeit wurde Hauser im Keller von Daumers Wohnung mit einer stark blutenden Schnittwunde an der Stirn aufgefunden. Er gab an, auf dem Abtritt von einem maskierten Mann überfallen worden zu sein, der ihm die Wunde mit einem scharfen Instrument beigebracht und ihm gedroht habe: „Du musst doch noch sterben, ehe du aus der Stadt Nürnberg kommst“. Hauser gab an, den Maskierten an der Stimme als denjenigen erkannt zu haben, der ihn nach Nürnberg geführt habe.
Aus Sicherheitsgründen wurde Hauser danach bei der Familie des Magistratsrates Biberbach untergebracht, dauernd bewacht von zwei Polizeibeamten. Das angebliche Attentat belebte das öffentliche Interesse an Kaspar Hauser und gab Gerüchten über dessen mögliche Herkunft aus dem Hochadel neue Nahrung.
Am 3. April 1830 fiel in Hausers Zimmer im Hause Biberbach ein Pistolenschuss. Seine beiden sich im Vorzimmer aufhaltenden Bewacher fanden Hauser bewusstlos und am Kopf blutend auf dem Boden liegen. Hauser gab später an, dass er auf einen Stuhl gestiegen sei, um an ein Buch zu kommen. Als dieser umfiel, habe er sich an einer an der Wand hängenden Pistole festzuhalten versucht und so den Schuss versehentlich ausgelöst. Die Wunde auf der rechten Kopfseite stellte sich als ungefährlich heraus; es ist zweifelhaft, ob sie durch den Schuss verursacht wurde. Der Vorfall veranlasste die örtlichen Autoritäten, sich erneut mit Kaspar Hauser zu befassen.
Da dessen anfangs gutes Verhältnis zur Familie Biberbach mittlerweile getrübt war, brachte man ihn bei seinem Vormund Gottlieb von Tucher unter. Dort wurde er strenger gehalten, insbesondere wurde der Andrang neugieriger Besucher eingeschränkt.
Dennoch gelang es dem englischen Dauerreisenden Philip Henry Earl Stanhope, den überall das Außerordentliche anzog, Hausers Bekanntschaft zu machen. Der Lord, den eine starke Zuneigung zu Kaspar erfasste, bemühte sich um die Pflegschaft Hausers, und nachdem er sie im Dezember 1831 erhalten hatte, brachte er ihn in Ansbach im Haushalt des Lehrers Johann Georg Meyer unter. Hiermit folgte er einem Vorschlag des Gerichtspräsidenten Anselm von Feuerbach, der die Fürsorge für das moralische und physische Wohl Kaspars während der Abwesenheit Stanhopes übernahm; der Gendarmerieunterleutnant Josef Hickel wurde zum „Spezialkurator“ bestellt.
Er besaß das Vertrauen Feuerbachs und hatte Zugriff auf die Untersuchungsakten. Stanhope wandte hohe Geldsummen auf, um Hausers Herkunft zu klären. So finanzierte er zwei Ungarnreisen, weil Laute dort gesprochener Sprachen bei Hauser Erinnerungen zu wecken schienen. Später erklärte der Lord, die Ergebnislosigkeit dieser Reisen habe bei ihm erste Zweifel an der Echtheit von Hausers Geschichte geweckt. Im Januar 1832 verließ Stanhope Ansbach und erschien nie wieder. Zwar kam er weiterhin für Kaspars Unterhalt auf, doch aus einer Umsiedlung nach England, die er seinem Schützling in Aussicht gestellt hatte, wurde nichts. Nach Hausers Tod rückte Stanhope endgültig von ihm ab.
In Ansbach verkehrte Kaspar Hauser in den besten Gesellschaftskreisen. Er besaß ein gewinnendes Wesen und war als leidenschaftlicher Tänzer beliebt; eine engere Beziehung zu einer Frau hatte er aber nie. Gespannt war Hausers Verhältnis zu Lehrer Meyer, einem pedantisch-strengen Charakter, dem er später auf dem Sterbebett dennoch seinen „sehr großen Dank“ aussprach. Nach Meyers Meinung war Hauser für Berufe, die eine höhere geistige Ausbildung erfordert hätten, ungeeignet.
Von Feuerbach brachte ihn daher Ende des Jahres 1832 bei seinem Gericht als Schreiber und Kopist unter. Seelsorgerisch betreut wurde Hauser vom Pfarrer Fuhrmann, der ihn auch am 20. Mai 1833 in der Gumbertuskirche in Ansbach konfirmierte. Wenige Tage später, am 29. Mai 1833, verstarb Anselm von Feuerbach, ein für Kaspar schmerzlicher Verlust.
Am 14. Dezember 1833 erlitt Hauser eine lebensgefährliche Stichverletzung. Er gab an, ein Unbekannter habe ihn im Namen des Hofgärtners zur Besichtigung des artesischen Brunnens im Ansbacher Hofgarten eingeladen. Dort habe er jedoch niemanden angetroffen. Daraufhin sei er in Richtung des Uz-Denkmals gegangen; hier habe ihn ein bärtiger Mann angesprochen, ihm einen Beutel überreicht und, als er danach griff, zugestochen.
Kaspar Hauser starb am 17. Dezember 1833 gegen 22 Uhr an den Folgen der Stichwunde. Die an der gerichtsmedizinischen Untersuchung beteiligten Ärzte waren sich nicht einig, ob die Wunde durch Selbstverletzung oder durch Fremdeinwirkung verursacht worden war. König Ludwig I. setzte die damals außergewöhnlich hohe Summe von 10.000 Gulden als Belohnung für die Ergreifung eines etwaigen Täters aus, allerdings ohne Ergebnis.

Persönlichkeit und Mythos Kaspar Hauser
Kaspars Unaufrichtigkeit und psychiatrische Aspekte gaben Anlass zur Fragwürdigkeit der Biographie. Schwerste Bedenken gegen Hausers Glaubwürdigkeit ergeben sich auch schon allein aus dem Zeugnis zahlreicher Personen aus seinem Umfeld, die ihn als verlogen darstellten. Selbst Daumer, „der an Kaspar wie an das Evangelium geglaubt hatte,“ räumte eine Wandlung Kaspars in „Richtung zur Unaufrichtigkeit, Unwahrhaftigkeit und Verstellung“ ein, und in Feuerbachs Nachlass fand sich ein Zettel, auf dem dieser notiert hatte: „Caspar Hauser ist ein pfiffiger, durchtriebener Kauz, ein Schelm, ein Taugenichts, den man totmachen sollte“,
vernichtend für Hauser, vernichtend auch für die Ansicht, dass Feuerbach bis ans Lebensende an K. Hauser geglaubt habe.
Nach dem Urteil von Karl Leonhard ist Kaspars Unaufrichtigkeit als krankhaft anzusehen:
„Wie schon andere Autoren meinten, war Kaspar Hauser ein pathologischer Schwindler. Neben seiner hysterischen Art muss er aber die Nachhaltigkeit einer paranoiden Persönlichkeit gehabt haben, da er seine Rolle so unbeirrbar durchstehen konnte. Beides, den hysterischen wie den paranoiden Wesenszug, kann man aus vielen Berichten über sein Verhalten erkennen.“ Dieses Krankheitsbild würde auch begreiflich machen, warum so viele Zeitzeugen, unter ihnen Hochgebildete, Kaspars Erzählungen Glauben schenkten:

Dichtung
Das Phänomen Kaspar Hauser hat nicht nur Wissenschaftler und Kriminalisten, sondern auch Schriftsteller, Dichter und Filmemacher fasziniert.
Der Kriminalfall Hauser bot 1838 den Stoff für das französische Melodram Gaspard Hauser, einen der ersten Bühnenerfolge des Autors Adolphe d'Ennery.
Nicht nur als Kriminalfall, sondern auch als „Rätsel seiner Zeit“ und allgemeine Parabel auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft behandelte Jakob Wassermann das Thema in seinem historischen Roman Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens (1908), der mehr als jede andere literarische Behandlung zur Popularisierung des Themas in Deutschland beitrug.

Eine Schlüsselfunktion für die Lyrik gewann das Gedicht Paul Verlaines Gaspard Hauser chante (aus dem Zyklus Sagesse von 1881), das Kaspar Hauser als Identifikationsfigur für den in der Welt heimatlosen Dichter der Moderne entdeckt.
Und unter dem Einfluss dieser Tradition steht auch eines der bedeutendsten Gedichte des Expressionismus, das Kaspar Hauser Lied (1917) von Georg Trakl.
In freier Anknüpfung an den Namen oder Versatzstücke der Biographie nehmen auch lyrische Dichtungen von Rainer Maria Rilke (Der Knabe im ersten Teil des Buchs der Bilder, 1907), Hans Arp (Kaspar ist tot, 1919) und Klabund (Der arme Kaspar) das Thema auf.

Grundsituation eines Kaspar Hauser, der in seinem Kerker abgeschieden von der Welt unter Zwang das Stammeln und Sprechen lernt, wählte auch Peter Handke noch als Vorlage für sein Sprechstück Kaspar (1968), in dem ein junger Mann auf der Bühne den Stimmen namenloser „Einsager“ ausgesetzt ist.

Verfilmungen:
Die Geschichte Kaspar Hausers wurde mehrmals verfilmt. 1966 erschien im ZDF eine zweiteilige Verfilmung Der Fall Kaspar Hauser von Robert A. Stemmle mit Wilfried Gössler in der Hauptrolle.
Bereits zehn Jahre zuvor spielte Michael Landon Kaspar Hauser in 'Mystery of Caspar Hauser'.
Werner Herzog verfilmte den Stoff unter dem Titel Jeder für sich und Gott gegen alle mit Bruno S. in der Rolle des Kaspar Hauser.
Und Peter Sehr verfilmte ihn ein weiteres mal 1993 unter dem Titel Kaspar Hauser - Verbrechen am Seelenleben eines Menschen, mit André Eisermann in der Hauptrolle des um sein Erbe gebrachten Prinzen im Sinne der Erbprinzentheorie.
In Ansbach finden alle zwei Jahre die Kaspar-Hauser-Festspiele statt. Im Jahr 2002 hatte hier das Musical Caspar Hauser von Tobias Weis und Heiko A. Neher Weltpremiere.

Medizin
In Medizin und Psychologie kennt man ferner das so genannte Kaspar-Hauser-Syndrom. Es tritt bei Babys oder Kindern auf, die lange Zeit ohne persönlichen Kontakt und ohne liebevolle Zuwendung oder Nestwärme aufwuchsen und zugleich kaum soziale oder kognitive Anregung erhielten.

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