Donnerstag, 7. Januar 2010

DDR: 17. Juni 1953 und 9. November 1989

17. Juni 1953 und Herbst 1989: zwei Revolutionen in der DDR

17. Juni 1953 und Herbst 1989
Als im Herbst 1989 in der DDR grundstürzende Veränderungen in der Luft lagen, meldete sich auch die Erinnerung an den 17. Juni 1953 zurück: DDR-Bürgerrechtler beschworen westdeutsche Berichterstatter, „auf Kampfbegriffe wie ‘17. Juni ‘ und ‘Wiedervereinigung’ zu verzichten“, um blutige Repressionen der Machthaber nicht zu provozieren. Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit der DDR, fragte am 31. August 1989 die Stasi-Chefs der Bezirke, die ihm über die fortschreitende Missstimmung in der Bevölkerung berichteten: “Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“. Der sowjetische Spitzendiplomat Valentin Falin berichtet von einer Begegnung zwischen Michail Gorbatschow, Generalsekretär des ZK der KPdSU, und Erich Honecker am 27. Juni 1989 in Moskau: „Unser Generalsekretär ließ keinen Zweifel daran, dass es keine Wiederholung von 1953 geben werde.“

Dass 1989 die sowjetischen Truppen in der DDR in ihren Kasernen blieben und ihre Panzer nicht wie 1953 in Berlin, 1956 in Budapest und 1968 in Prag eine behauptete „Konterrevolution“ niederwalzten, wurde zur entscheidenden Voraussetzung für das Gelingen der friedlichen Revolution. Nachdem die Sowjetunion ihre schützende Hand abgezogen hatte, erfüllte sich, was am 28. Juli 1970 der damalige sowjetische KP-Chef Leonid Breschnew Honecker prophezeit hatte: „Erich, vergiss das nie: Ohne uns gibt es keine DDR.“

Ursachen…
Die SED hatte im Juli 1952 den planmäßigen „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR nach sowjetischem Vorbild beschlossen. Der Staatsaufbau wurde zentralisiert, die fünf Länder durch 14 Bezirke ersetzt, die „Verschärfung des Klassenkampfes“ proklamiert. Dies bedeutete: Die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde mit Zwangsmitteln vorangetrieben, der Druck auf mittelständische Unternehmer, Einzelhändler, Handwerker, selbstständige Rechtsanwälte verstärkt. (Sie erhielten z. B. ab 1. Mai 1953 keine Lebensmittelkarten mehr.) Oberschüler und Studenten, die sich zur „Jungen Gemeinde“ der evangelischen Kirche bekannten, wurden von Schulen und Universitäten verwiesen. In stalinistischer Manier wurde die politische Strafjustiz intensiviert.
Zum „Aufbau des Sozialismus“ gehörte der forcierte Aufbau einer Schwerindustrie zulasten der Konsumgüterindustrie. Dies führte zu Versorgungsengpässen großen Umfangs. Viele Menschen reagierten auf diese Entwicklung mit einer „Abstimmung mit den Füßen“. 1952 wanderten 182 000 nach Westdeutschland ab, im ersten Halbjahr 1953 226 000 (Gesamtzahl von Gründung der DDR bis zum Mauerbau am 13. 8. 1961: 2,7 Millionen).

Zwar waren bereits Ende Mai 1952 die DDR-Grenzen zu Westdeutschland militärisch abgeriegelt und Sperrzonen entlang der Grenze eingerichtet worden, doch war die Flucht über den Ostsektor Berlins (= „Hauptstadt der DDR“) in die Westsektoren der Stadt weiterhin möglich. Am 5. März 1953 starb Stalin. Die auf ihn folgende, kollektive Sowjetführung – Malenkow, Chruschtschow, Molotow, Berija – kritisierte den forcierten Aufbau des Sozialismus in der DDR als eine „fehlerhafte politische Linie“, die „ernste Unzufriedenheit“ unter den breiten Massen zur Folge gehabt hätte.
Nach wiederholten Interventionen aus Moskau gestand das irritierte SED-Politbüro am 9. Juni 1953 „ernste Fehler“ ein und verkündete einen „Neuen Kurs“. Repressionsmaßnahmen gegen Bauern, Handwerker, Kleinunternehmer und Gewerbetreibende wurden ausgesetzt, beschlagnahmte Bauernhöfe und Geschäfte zurückgegeben, Urteile überprüft, Verhaftete entlassen, die Maßregelungen gegen Mitglieder der „Jungen Gemeinde“ zurückgenommen.

Während dem Mittelstand so taktische Zugeständnisse gemacht wurden, traf dies für die Arbeiter nicht zu: Die erwartete Rücknahme einer Normenerhöhung um durchschnittlich mindestens 10 % blieb aus. Sie war im Mai 1953 vom ZK der SED und dem Ministerrat beschlossen worden, um für den „Aufbau des Sozialismus“ die Arbeitsproduktivität zu steigern. Die Normenerhöhung bedeutete weniger – wie Geschichtsbuchtext 1 meint – eine Verlängerung der Arbeitszeit, als vielmehr eine erhebliche Lohnsenkung, weil ab 1. Juni 1953 Prämien für Übererfüllung der (alten) Norm wegfielen.

… und Verlauf des Aufstands
Am 15. Juni 1953 legten in Ost- Berlin die Bauarbeiter auf Block 40 der Stalin-Allee (heute Karl-Marx-Allee) zeitweilig die Arbeit nieder und beschlossen eine Resolution an DDR- Ministerpräsident Grotewohl, in der die Aufhebung der Normenerhöhung verlangt wurde.
In die schon aufgeheizte Stimmung platzte ein Zeitungsartikel, den die Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ am 16. Juni 1953 veröffentlichte. In ihm rechtfertigte ein führender Gewerkschaftsfunktionär noch einmal ausdrücklich die Normenerhöhung. Dieser Artikel löste am Morgen des 16. Juni 1953 einen Protestzug von zunächst etwa 80 Arbeitern des Block 40 der Stalinallee aus, der, als er das Haus der Ministerien (heute Bundesfinanzministerium) erreicht hatte, bereits auf mehrere Tausend angeschwollen war. Galt anfangs noch die Losung „Nieder mit den Normen“, so erhoben Sprecher jetzt zunehmend politische Forderungen: Rücktritt der Regierung, freie und geheime Wahlen. Spontan wurde ein Generalstreik am 17. Juni gefordert.

In dieser Situation beschloss das am 16. Juni turnusmäßig tagende Politbüro der SED, die Normenerhöhung zurückzunehmen. Trotzdem griffen am 17. Juni die Arbeitsniederlegungen auf nahezu alle Betriebe in Ost-Berlin über. Demonstranten bestimmten das Stadtbild, forderten „Weg mit [SED-Chef] Ulbricht“ und „Freie Wahlen“. Es kam zu Übergriffen, SED-Symbole und Transparente wurden abgerissen und teilweise verbrannt, SED-Agitatoren verprügelt. Um 13.00 verkündete der sowjetische Stadtkommandant den Ausnahmezustand. Menschenansammlungen von mehr als drei Personen wurden verboten, von 21.00 bis 5.00 herrschte Ausgangssperre. Sowjetische T 34 -Panzer fuhren auf, nun griff auch die „Kasernierte Volkspolizei“ ein, die Vorgängertruppe der „Nationalen Volksarmee“. Der Aufstand wurde erstickt, der Ausnahmezustand blieb in Ost-Berlin bis zum 11. Juli bestehen.

In der DDR wurde aus Solidarität mit Berlin am 17. Juni 1953 in etwa 600 Betrieben gestreikt. Schwerpunkte waren die Industriegebiete um Halle, Leipzig und Gera. Der Organisationsgrad in der DDR war teilweise höher als in Berlin: An vielen Orten entstanden regionale und vereinzelt auch überregionale Streikkomitees, die zeitweilig die örtliche Macht übernahmen. Auch auf dem Lande kam es zu Protesten, in Mühlhausen demonstrierten ca. 2 000 Bauern.
Noch über den 17. Juni hinaus dauerten an verschiedenen Orten Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen an. Insgesamt war es zwischen dem 17. und 21. Juni in über 560 Ortschaften der DDR zu Aktionen gekommen. Nach Niederschlagung des Aufstandes setzte eine erbarmungslose Verfolgung der Oppositionellen ein. Schon bei den Verhaftungen kam es zu z. T. schwersten Misshandlungen.
Gegen etwa 1600 Teilnehmer des 17. Juni verhängten DDR-Gerichte teilweise hohe Freiheitsstrafen. Erst 1964 wurden die letzten Verurteilten entlassen bzw. von der Bundesregierung freigekauft. Zwei waren zum Tode verurteilt und hingerichtet worden.

Nicht so in Diktaturen. Die in ausgebreitete Agententheorie ist eine von der DDR-Staatspartei verordnete Erklärung für eine im „Arbeiter -und Bauernstaat“ eigentlich unerklärliche Tatsache: Die „herrschende Klasse“, die Arbeiter, erhebt sich gegen den „Vortrupp der Arbeiterklasse“, die SED. Die Agententheorie ist unhaltbar, selbst in einem von den ehemaligen Stasi-Generälen Irmler, Opitz und Schwanitz herausgegebenen eher apologetischen Werk [Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS. Berlin 2002], heißt es zu diesen Erklärungsversuchen:
„Sie gipfelten in der nicht den Tatsachen entsprechenden und damit falschen Feststellung, es habe sich bei diesen Ereignissen um eine faschistische Provokation, einen faschistischen Putsch äußerer und innerer Feinde, um das Werk imperialistischer Geheimdienste, besonders der USA und der BRD gehandelt.“

Arbeiter- oder Volksaufstand?
Während lange die Meinung vorherrschte, der 17. Juni 1953 sei „nur“ ein Arbeiteraufstand gewesen, wies der einstige DDR-Bürgerrechtler Neubert 1997 darauf hin, dass angesichts der zweifelsfrei starken Beteiligung der Arbeiterschaft leicht übersehen werde, dass auch Bauern sich an den Protesten beteiligten, ebenso Handwerker, Kleinunternehmer, Angestellte, Studenten. Die Listen der nach dem Aufstand Verhafteten spiegelten in etwa die soziale Struktur der DDR wider: 3500 Arbeiter, ca. 1800 Angestellte, Bauern, Selbstständige. „Der 17. Juni war daher für die Arbeiter auch ein politischer Arbeitskampf, insgesamt aber der Aufstand der Bevölkerung gegen das totalitäre System.“

Das Bekenntnis zur Einheit Deutschland verband sich 1989 mit dem Wandel der Parole „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“. Die ersten freien Wahlen in der DDR im März 1990 hatten dann tatsächlich schon am 23. 8. 1990 den Volkskammerbeschluss zur Folge, durch Beitritt der DDR zur Bundesrepublik die Einheit Deutschlands wiederherzustellen.

Die Sowjets hatten 1953 mit immerhin 16 eingesetzten Divisionen den Volksaufstand erstickt. Mindestens 18 Aufständische (andere sprechen von mindestens 40) wurden von ihnen standrechtlich erschossen. Durch Waffengebrauch sowjetischer Truppen kamen 24 Menschen ums Leben, acht durch den der Volkspolizei (andere sprechen von insgesamt mindestens 50). Sowjetische Soldaten, die sich geweigert hatten, auf Demonstranten zu schießen, sollen ebenfalls exekutiert worden sein. Nach Angaben des MfS wurden vier Angehörige der Volkspolizei bzw. Stasi getötet. Andere Untersuchungen sprechen von 10 Toten bei den Sicherungskräften und insgesamt mindestens 125 Todesopfern.

Fazit
Als entscheidende Schwäche des Aufstands vom 17. Juni 1953 wird in der Literatur das Fehlen zentraler Führungsstrukturen angesehen. Die Zeit hat gefehlt, sie nach dem spontanen Ausbruch allgemeiner Unzufriedenheit aufzubauen. Die beiden wichtigsten politischen Ziele stimmten allerorts überein – Regierungswechsel und freie Wahlen –, aber es fehlten Pläne für ein organisiertes Vorgehen, Koordination der Einzelaktionen, auch theoretische Vorarbeit, welches Endziel erreicht werden sollte. Für die Erlebnisgeneration des 17. Juni in der DDR wurde die Niederschlagung des Aufstandes durch sowjetische Truppen zum Beweis dafür, dass kollektiver Widerstand gegen das SED- Regime sinnlos und Unterstützung aus dem Westen nicht zu erwarten sei. 30 Jahre später war dieses depressive Erlebnis verblasst und eine neue Generation herangewachsen, der in einer veränderten politischen Gesamtsituation gelang, was 1953 misslungen war.


17. Juni 1953 und Herbst ’89
Von 1949 bis 1990 existierten zwei Staaten in Deutschland: die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik (DDR). In der DDR übte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) eine Parteidiktatur aus. Freie Wahlen gab es nicht. Am 17. Juni 1953 erschütterte ein Aufstand die SED-Herrschaft. Er wurde niedergeschlagen. Erst in einer veränderten weltpolitischen Lage konnten die Menschen in der DDR sich 1989 von der kommunistischen Diktatur befreien. Ihr erstes frei gewähltes Parlament beschloss 1990 den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland.

Wer heute in Leipzig in die 10. Klasse geht, kann in seinem Geschichtsbuch Folgendes lesen:
Am 17. Juni 1953 brach in der DDR spontan ein Aufstand aus. Über 500 000 Menschen an nahezu 400 Orten beteiligten sich an Streiks, mehr als 400 000 an Demonstrationen. […] Am 16. Juni 1953 traten die Bauarbeiter des Projekts „Sozialistische Wohnkultur“ an der Stalinallee in Berlin in den Ausstand. Vor dem Haus der Ministerien demonstrierten sie gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen und damit gegen die Verlängerung ihrer Arbeitszeit. Durch Kuriere und westliche Medien wurde die Nachricht von dem Berliner Streik schnell verbreitet. Obwohl die überraschte SED-Führung nun die Normerhöhung zurücknahm, weitete sich der Streik innerhalb kurzer Zeit zu einer großen Protestwelle aus: An nahezu 400 Orten der DDR fanden Demonstrationen statt. Neben wirtschaftlichen und sozialpolitischen wurden auch politische Forderungen gestellt.
Am Mittag des 17. Juni griffen sowjetische Truppen mit Panzern ein. In 160 Stadt- und Landkreisen wurde der Ausnahmezustand verhängt. Versammlungen waren verboten, es galt das Kriegsrecht. Nach wenigen Tagen war der Aufstand gewaltsam niedergeschlagen. (Geschichte plus. Klasse 10. Verlag Volk und Wissen, Berlin 2002, S. 68 f.)

Wer vor 15 Jahren in Leipzig in eine 10. Klasse ging, erfuhr Folgendes:
Anfang 1953 kam es [...] zu Störungen in der Wirtschaft der DDR. Das brachte auch größere Schwierigkeiten bei der Versorgung der Bevölkerung mit sich, was zeitweilig zu Unzufriedenheit und Missstimmung unter den kleinbürgerlichen Schichten der Bevölkerung, aber auch unter Teilen der Arbeiterklasse führte.
Das Politbüro des Zentralkomitees der SED (9.Juni 1953) und der Ministerrat der DDR (11. Juni 1953) legten unverzüglich Maßnahmen zur Überwindung der Schwierigkeiten fest. In dieser Situation entschlossen sich die imperialistischen Kräfte zu einem konterrevolutionären Putschversuch gegen die DDR, ehe die Maßnahmen von Partei und Regierung Erfolge aufweisen konnten.
Am 17. Juni 1953 gelang es Agenten verschiedener imperialistischer Geheimdienste, die von Westberlin aus zahlreich in die Hauptstadt und einige Bezirke der DDR eingeschleust worden waren, in der Hauptstadt und in verschiedenen anderen Orten der Republik einen kleinen Teil der Werktätigen zu zeitweiligen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen zu bewegen. In einigen Städten plünderten Gruppen von Provokateuren und Kriminellen. Sie legten Brände, rissen Transparente herunter, misshandelten und ermordeten Funktionäre der Arbeiterbewegung, holten verurteilte Kriegsverbrecher aus Gefängnissen und forderten den Sturz der Arbeiter- und Bauern-Macht. Doch der junge sozialistische Staat bestand unter Führung der Partei auch diese Belastungsprobe. Die Mehrheit der Arbeiterklasse und der Bevölkerung stand zu ihrem Staat. [...]
Durch das entschlossene Handeln der fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten gemeinsam mit sowjetischen Streitkräften und bewaffneten Organen der DDR brach der konterrevolutionäre Putsch innerhalb von 24 Stunden zusammen.

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